Benedict Cumberbatch wurde als „Sherlock“ berühmt und ist jetzt in „Parade’s End“ zu sehen. Für viele ist er der „Sexiest Man Alive“, er selbst äußert sich gern ironisch über seinen „bleichen, langen Schädel“.

Stuttgart - Von den Lesern der britischen „Sun“ wurde er gerade zum zweiten Mal nacheinander zum „Sexiest Man Alive“ gewählt. Im Kino ist er als Terrorist John Harrison im Film „Star Trek into Darkness“ zu sehen. Dabei hat ihn außerhalb seines Heimatlandes bis vor kurzem kaum jemand gekannt. „Benedict who?“ sollen die amerikanischen Mitfinanciers zunächst gefragt haben, als der Drehbuchautor Tom Stoppard den Schauspieler Benedict Cumberbatch als Hauptdarsteller für die sechsteilige BBC-Miniserie „Parade’s End – Der letzte Gentleman“ vorschlug, die auf Arte gezeigt wird.

 

Es geht da um Leidenschaft und Entsagung, um Landschaften und Interieurs, aber vor allem um die großen gesellschaftlichen Umbrüche in der Zeit um 1914, als die Frauen das Wahlrecht erkämpften, und die Männer in den Ersten Weltkrieg zogen. Benedict Cumberbatch spielt darin nun Christopher Tietjens, einen britischen Oberschichtsangehörigen, der die amourösen Umtriebe seiner schönen Frau Sylvia mit steifer Oberlippe erträgt, und heimlich die Suffragette Valentine anbetet. Einen Mann, der in seiner Freizeit die Einträge in der Encyclopedia Britannica verbessert, und in seiner Haltung attraktive Antiquiertheit und Noblesse ausstrahlt. Ein faszinierendes Auslaufmodell, das am Ende zum Helden wird.

Die dritte Staffel wird gerade gedreht

Nicht dass der Sohn zweier Schauspieler dabei sein vorteilhaftes Äußeres hätte einsetzen können – während der 36-Jährige sich selbst immer ironisch über seinen „bleichen, langen Schädel“ äußert, schmachtete kürzlich ein Autor der „Daily Mail“, er sei von ähnlich mesmerisierender Schönheit wie Tilda Swinton. Die Regisseurin Susanna White ließ ihn sich für diese Rolle durch Gewichtszunahme, gefärbtes Haar und Backenkissen, die seine hohen Wangenknochen neutralisieren, optisch so weit wie möglich von „Sherlock“ entfernen, jener charismatischen Serienfigur, die ihn 2010 berühmt gemacht hat.

Die BBC-Produktion, die in Deutschland im Ersten lief, und deren dritte Staffel gerade gedreht wird, interpretiert Sir Conan Doyles Geschichten um den Londoner Meisterdetektiv auf rasante, zeitgenössische und technikaffine Weise neu. Und Benedict Cumberbatch belebt als soziopathischer Dandy neben dem ehemaligen Militärarzt Dr. Watson, gespielt von Martin „Hobbit“ Freeman, den Mythos so überzeugend, dass die Zuschauer fast wieder an die künstlerischen Möglichkeiten des Fernsehens zu glauben beginnen. Das brachte ihm mehrere Preise und zahlreiche Rollenangebote ein – inzwischen spielte Cumberbatch unter anderem in Tomas Alfredsons „Dame, König, Ass, Spion“ und in Steven Spielbergs „War Horse“.

Der verführerische Holzklotz

Und jetzt eben in „Parade’s End“, wofür er gerade mit einem Broadcasting Press Guild Award als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde, neben Rebecca Hall als seine Ehefrau Sylvia (beste Hauptdarstellerin), und Tom Stoppard (bestes Drehbuch). Obendrauf gab es noch den Pokal für die beste Dramaserie. Von den Charakteren, die er bisher verkörpert habe, sagte Benedict Cumberbatch kürzlich in einem Interview mit dem britischen „Telegraph“, sei Tietjens, dieser letzte Gentleman, derjenige, der ihm am besten gefalle. „Ich sympathisiere mit seiner Fürsorglichkeit, seinem Sinn für Pflicht und Tugend, seiner Intelligenz angesichts selbstgenügsamer Mittelmäßigkeit, seiner Wertschätzung für Qualität und seiner Liebe zu seinem Land“, heißt es auf seiner Internetseite.

Zwar kämpft der Schauspieler als Privatschulabsolvent in seinem klassenbewussten Heimatland gegen den Ruf „posh“, also privilegiert aufgewachsen zu sein. „Ich stamme definitiv aus der Mittelschicht, wenn auch aus der oberen Mittelschicht“, erklärt er immer wieder, und versucht, sich nicht auf einen Typus festlegen zu lassen.

Hier aber gibt der überaus komisch begabte Schnelldenker noch einmal den kühlen Vornehmen mit Herz, einen verführerischen Holzklotz, dessen Charme sich auch in scharfem Witz und gepflegter Sprache äußert.

Gescheit ist das neue sexy

Für letztere zeichnet auf dem Papier oben genannter Sir Tom Stoppard verantwortlich. Der wohl berühmteste Drehbuchautor der Insel hat vier Bücher des Deutsch-Briten Ford Madox Ford über dessen Sicht der britischen Gesellschaft und des Ersten Weltkriegs behutsam und klug in einen Bilderbogen mit knappen Dialogen aufgelöst, ähnlich wie in der aktuellen, ebenfalls aus seiner Feder stammenden „Anna Karenina“-Filmadaption mit Keira Knightley.

„Parade’s End“ wäre deshalb sicher auch ohne den Hauptdarsteller sehenswert, mit ihm ist die Miniserie zumindest für Anglophile ein Muss. Denn Benedict Cumberbatch folgt in seinem Spiel einem Satz, der in einer „Sherlock“-Episode fällt: „Brainy“, also gescheit, ist das neue sexy!