Sommerpause im politischen Berlin. Der übliche wuselige Parteienbetrieb ruht. Aber es ist die Ruhe vor dem Sturm: Nach dem kleinen Atemholen beginnt der letzte große Abschnitt vor den Bundestagswahlen im Herbst 2017. Für uns ist das die Gelegenheit zu einem Form-Check der Parteien.

Berlin - Sommerpause im politischen Berlin. Der übliche wuselige Parteienbetrieb ruht. Aber es ist die Ruhe vor dem Sturm: Nach dem kleinen Atemholen beginnt der letzte große Abschnitt vor den Bundestagswahlen im Herbst 2017. Für uns ist das die Gelegenheit zu einem Formcheck der Parteien.

 

Ausgangslage vor der Bundestagswahl

Ach, die SPD! Wie sollte die Lage auch anders sein als schwierig. Zwar hat sich die Partei etwas stabilisiert, die 20-Prozent-Marke wird nicht mehr regelmäßig unterboten. Aber die Zahlen sind immer noch so schlecht, dass die SPD ständig erklären muss, weshalb sie denn eigentlich noch Volkspartei genannt werden will. Nach der Bundestagswahl 2013 herrschte noch Euphorie, weil die Partei der Union so viele Zugeständnisse (Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse) abtrotzen konnte, dass man meinen konnte, sie habe die Wahl gewonnen statt verloren. Danach glaubten viele, man müsse nur noch die Ernte einfahren. Pustekuchen. Die Zustimmung zur SPD sank, die Nervosität von Parteichef Sigmar Gabriel stieg, der seine Partei in der Folge mit unberechenbaren und impulsiven Alleingängen aufrieb.

Strategie

Hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel zunächst nach der Bundestagswahl als Wirtschaftsminister noch versucht, die SPD sozialliberal zu prägen, so ist seit dem Jahreswechsel ein massiver Linksruck festzustellen. Die Vermögensteuer steht wieder auf der Agenda, das Rentenniveau soll nicht weiter abgesenkt oder gar erhöht werden, vom EU-Freihandel mit den USA wird abgerückt und einiges mehr. Laut nachgedacht wird über einen rot-rot-grünen Bundespräsidenten, und Gabriel selbst beschwor in einem Beitrag, die Linke möge im Kampf gegen Rechtsextremismus endlich ihre Spaltung überwinden.

Auch in der Außenpolitik setzt sich die SPD Richtung Grüne und Linke ab, setzt in der EU auf Investitionen statt Sparen und im Umgang mit Russland auf Gespräche statt Säbelrasseln. An der Parteispitze ist man zu der Einsicht gelangt, dass der Kampf mit der Union nur so zu bestehen sein werde. Auf diese Weise will man der Strategie von Kanzlerin Angela Merkel begegnen, die darauf setzt, durch Übernahme der Forderungen ihrer politischen Gegner deren Anhängerschaft zu demobilisieren („asymmetrische Demobilisierung“). „Mal sehen, wie weit sie uns folgen kann, ohne ihre eigene Partei zu spalten“, heißt es in SPD-Führungskreisen. Spitzenkandidat

SPD-Chef Sigmar Gabriel wird die Kanzlerkandidatur wohl übernehmen müssen. NRW, der mächtigste Landesverband, steht knapp ein Jahr vor der überlebenswichtigen Landtagswahl an Rhein und Ruhr hinter ihm, das ist seine Lebensversicherung. Dennoch ist die Situation für ihn weiterhin kritisch. Sein blamables Scheitern beim Versuch, eine Ministererlaubnis der Fusion von Edeka und Kaiser’s-Tengelmann durchzusetzen, setzt ihm zu. Seine hastige, von seiner Partei erzwungene Wandlung vom TTIP-Fan zum TTIP-Kritiker ist unglaubwürdig. Mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz stehen zwei Führungsfiguren am Start, die zuletzt zwar Signale ihrer Bereitschaft aussandten. Allerdings heißt es, dass beide sich nur in die Pflicht nehmen ließen, wenn Gabriel von sich aus die Segel streicht. Putschen will vorerst niemand.

Machtperspektive

Die wahrscheinlichste Machtperspektive ist die unbeliebteste: die Fortsetzung der Koalition mit der Union. Rot-Rot-Grün ist rechnerisch möglich, aber mehr als sehnsuchtsvolle Tagträume sind derzeit bei realistischer Betrachtung nicht drin, zu groß die Differenzen, vor allem in der Außenpolitik. Möglich wäre auch eine Ampel, die aber will die FDP möglichst vermeiden.

Aufsteiger/Absteiger

Martin Schulz ist im Kreis der Kanzlerkandidatenaspiranten angekommen. Er ist der Aufsteiger. Absteiger? Sigmar Gabriel. Er lässt sich von der Parteilinken auf Kosten seiner Glaubwürdigkeit vor sich hertreiben, die seine Schwächephase nutzt, um programmatische Akzente zu setzen.