Großartige Erfolge, großartige Momente: Fellbachs Sportler(innen) haben in den vergangenen Jahrzehnten viel erlebt. Wir wollen ihre Geschichte und ihre Geschichten wieder aufleben lassen. Heute: Erstliga-Volleyball beim SVF vor mehr als 20 Jahren.

Rems-Murr: Thomas Rennet (ren)

Fellbach - Brian Watson steht in erhöhter Position am Netz. Er schlägt die Bälle in rascher Folge auf die andere Seite. Hart, meistens sehr hart. Ausweichen wäre angesichts der kurzen Entfernung schon eine mächtige Herausforderung. Ausweichen ist aber nicht gut.

 

Jedes Heimspiel ist ein kleines Volksfest mit mehr als 1000 Zuschauern

Die Männer im Kugelhagel haben die Aufgabe, alles, was da auf sie zufliegt, im Geschehen zu halten – nur das ist gut. Abwehrtraining auf höchstem Niveau. Volleyball auf höchstem Niveau. Und das in der Gäuäckerhalle I. Der SV Fellbach erlebt aufregende Zeiten vor mehr als 20 Jahren. Brian Watson, davor kanadischer Nationaltrainer, schindet und lenkt ein Erstliga-Team, das gespickt ist mit hochklassigen Profis, die hochklassigen Sport anbieten. Jedes Heimspiel ist ein kleines Volksfest mit mehr als 1000 Zuschauern. Sportlicher Höhepunkt der berauschenden Jahre ist der Vizetitel 1998, der allerdings nicht ohne Kater auskommt: Die massiven finanziellen Probleme drängen den Erfolg der Mannschaft in den Hintergrund.

Wer nicht weiß, was hier los ist an einem Samstagabend, bekommt schon lange vor der Eingangstür eine Ahnung davon. Draußen sind die Parkplätze eine halbe Stunde vor Spielbeginn bis auf den letzten Meter belegt. Wer später eintrifft, braucht kreative Ideen, will er sein Fahrzeug rechtzeitig verlassen vor der Partie, die wie stets eine Party zu werden verspricht.

Die Basis haben Jahre zuvor Akteure geschaffen, die unter den Branchenbesten nicht mehr mitschmettern können

Denn drinnen brodelt bereits vor dem ersten Volltreffer die Halle. Die Stimmung ist aufgekratzt, die Stimmbänder sind bald angekratzt. Am Getränkestand bilden sich in den Satzpausen lange Schlangen, und der Metzgermeister Ernst Mack verkauft Fleischkäsbrötchen im Akkord. Auf dem Spielfeld toben sich die erstklassigen Volleyballer aus, und nach dem letzten Hieb ist noch lange nicht Schluss. Hinterher stehen im Foyer aus guter Gewohnheit Fans und Spieler zum Plausch beisammen. Es kann spät werden. „Eine Wahnsinnszeit“, sagt Alexander Weier, der in Oeffingen einen familiären Handwerksbetrieb führt und sich in jenen Jahren mit Ehefrau Evi exzellent unterhalten und wohlfühlt. Auch deshalb, weil die Volleyballer selbst auf alleroberstem Niveau eine familiäre Atmosphäre vermitteln. „Diese Zeit vermisse ich schon manchmal“, sagt der Stammgast längst vergangener Tage in der Gäuäckerhalle I.

Die Basis haben Jahre zuvor Akteure geschaffen, die unter den Branchenbesten nicht mehr mitschmettern können. Uli Unterriker, der ausgebuffte Kapitän, Gunther Wolf, Thomas Striegel oder Harald Busch sind 1992 aus der Regionalliga in die zweithöchste Spielklasse aufgestiegen. Sie haben das – weithin entspannt und zum richtigen Moment auch mal angespannt – in ihrer Freizeit bewerkstelligt. Damals schon in der Gäuäckerhalle I, aber die Wirkungsstätte musste sich erst noch zum Tollhaus entwickeln: mit Klassesport, Krach und Konfetti. Für gewöhnlich, vor den Aufstiegswochen, saßen in der Regionalliga die Spielerfrauen auf der Tribüne. Und ein paar Männer mit reifer Volleyball-Erfahrung. Krach und Konfetti brauchten sie nicht zu den Kaltgetränken.

Für eine Saison ist Paul Duerden in der Stadt

In der zweiten Bundesliga füllen sich die Ränge. Marc Blaich und Jochen Schmid, ebenso sympathische wie begabte Kräfte aus der Nachbarschaft, sind die passenden Zugänge. Auch Robert Jetschina passt überall hin. Der Angreifer aus Neckarweihingen kreiert nicht nur die wohl besten Nusshörnchen zwischen Minsk und Miami. Trotz seines freundlichen Wesens schlägt er derart brachial zu, dass die Volleyball-Fans des SV Fellbach ihm zu Ehren eine kleine Hymne dichten („Robert pack’ die Keule aus, doo dah, doo dah“). Später kommt Stjepan Masic hinzu, der erste Profi. Alle zusammen steigen im Frühjahr 1995 mit dem Trainer Martin Feistritzer – und vor bereits 700 Besuchern – in die erste Bundesliga auf.

Stjepan Masic war der erste, jetzt finden sich weitere Nationalspieler ein. Michael Dornheim, Holger Werner und Christian Metzger. Für eine Saison ist Paul Duerden in der Stadt. Der Kanadier wird ein paar Jahre später einer der hochkarätigsten Schmetterstars des Planeten sein, der emsigste Punktesammler des Champions-League-Siegers 2001: Paris Volley. Auch Dirk Oldenburg, damals der vortrefflichste Diagonalangreifer im Land, lernt Fellbach näher kennen.

Die Galavorstellungen im Frühjahr 1998 werden von trüben Gedanken begleitet

Ebenso der Australier Benjamin Hardy, in späteren Jahren wie Paul Duerden ein Weltklasse-Volleyballer. Doch die Ausgaben, das wird nun, während der sportlich stärksten Saison in der ersten Bundesliga, offenkundig, übersteigen bei weitem die Einnahmen. Der Schatzmeister des SV Fellbach hat mit gleichermaßen kühner wie illegaler Buchführung massive Schulden angehäuft, an denen der Verein bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein schwer zu tragen hat.

Die Galavorstellungen im Frühjahr 1998 werden von trüben Gedanken begleitet. Galavorstellungen sind es – trotz der Umstände – dennoch. Vor allem im Halbfinale, in dem der Fellbacher Verbund mit zwei Siegen den deutschen Meister Bayer Wuppertal aus dem Wettbewerb befördert. Auch in der Finalserie sind Masic, Metzger und Gefährten gut, nicht gut genug aber für den VfB Friedrichshafen. Sie unterliegen dem Klassegegner vom Bodensee auch daheim in der mit 1600 Zuschauern zweimal restlos ausverkauften Gäuäckerhalle I und müssen anschließend zusehen, wie die Gäste den Titel feiern.

So weit oben, fast ganz oben, sind Volleyballer in den Fellbacher Farben danach nie wieder. Der SVF wird bis 2002 noch drei Jahre lang in der ersten Liga mitmischen (und dann nicht mehr). Die Vollprofijahre sind aber vorbei. Mit einem kanadischen Trainer, der selbst hart zuschlägt. Mit Volleyball auf höchstem Niveau.