Nach der Volksweisheit gelang Sauerkraut nur, wenn es bei zunehmendem Mond eingeschnitten und von zarten Kinderfüßen behutsam eingetreten wurde. Die Faser musste heil bleiben – weshalb die aus alten Gummireifen gebastelten Kraut-Treter im Echterdinger Stadtmuseum ein sehr außergewöhnliches Exponat darstellen.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Filder - Wenn kleine Hände sich in Indien oder Pakistan mit dem Nähen von Lederfußbällen abmühen müssen oder im chinesischen Steinbruch an Granitpflaster klopfen, denken nur die wenigsten Zeitgenossen daran, dass Kinderarbeit früher auch bei der Sauerkrautherstellung an der Tagesordnung war. Das frisch geschnittene Kraut, in lockeren Schichten in einen „Krautstande“ genannten Kübel eingestreut, musste nämlich eingetreten werden. Äußerst wichtig war, dass die Pflanzenfaser durch den Druck nicht gequetscht und zerstört wurde – weshalb der gewichtsmäßig leichtere Nachwuchs gerufen wurde, um im Krautzuber seinen Bewegungstrieb abzubauen.

 

Wunder der Milchsäuregärung verträgt keinen Sauerstoff

Beim Einstampfen mit nackten, aber frisch gewaschenen Füßen blieben die Krautfasern heil – das Wunder der Milchsäuregärung konnte beginnen. Verdichtet werden musste das Kraut übrigens nicht etwa, damit mehr davon ins Fass passt. Nein, in Schwung kam der natürliche Prozess mit den Bakterien erst, wenn sich nur noch möglichst wenig Sauerstoff im Zuber befand. Je dichter die Krautfasern lagen, desto besser die milchsaure Gärung, die wertvollen Vitamine blieben erhalten.

Schicht für Schicht wurde das Kraut außerdem milde gesalzen – auf einen Doppelzentner Kraut rechneten die Filderbauern mit knapp einem Kilogramm Salz. Das austretende Fruchtwasser wurde beim Sauerkrautmachen immer wieder abgeschöpft, so dass die oberste Schicht noch feucht blieb, aber nicht in der Lake schwamm. Gefüllt wurde die Krautstande bis auf eine Handbreit unter den Rand, zum Schluss wurde das eingemachte Kraut mit Kohlblättern oder aber einem sauberen Tuch abgedeckt und mit großen Steinen beschwert.

Kraut wurde stets bei zunehmendem Mond eingeschnitten

Das Gewicht auf dem Sauerkraut war wichtig, weil durch den Gärprozess sich sonst Hebungen ergeben konnten – nicht mehr von der Lake bedecktes Kraut begann in kürzester Zeit zu faulen. „Es braucht nicht besonders erwähnt werden, dass äußerste Sauberkeit herrschen musste, da sonst unliebsame Überraschungen auftreten konnten“, notiert Gert Herzhauser, ehemals im Filderstädter Kulturamt, in den volkskundlichen Anmerkungen zur Krautverarbeitung.

Interessant ist, dass das Einschneiden nach alter Väter Sitte bei zunehmendem Mond getätigt werden sollte, da sonst nach der Volksweisheit das Sauerkraut nicht gelingt. Bemerkenswert auch, dass die Krautfabriken auf den Fildern trotz des technischen Wandels mit der Einführung von Förderbändern, elektrisch betriebenen Strunkbohrmaschinen und Gärsilos für das Eintreten mit sanfter Körperkraft letztlich kaum eine geeignete Alternative fanden.

Der Rüttelstampfer bewährte sich in der Praxis nicht

„Vor dem Krieg hatten wir mal einen Rüttelstampfer, der hat die ganze Krautfaser zerschlagen. Er wurde ein paar Mal ausprobiert und ist dann wieder auf die Bühne gewandert“ hat sich Ida Spannenberger einst an die Arbeit bei der Echterdinger Krautfabrik Erstkraut erinnert.

Ein bis zwei Monate brauchten die Milchsäurebakterien, um den Gärprozess zu einem Ende zu bringen – abhängig von der Größe des Kübels und der Temperatur im Keller. In den kleinen Tonkrügen für den Haushalt, die nach und nach den Markt eroberten, ging es deutlich schneller mit dem Sauerkraut. Nur mit nackten Füßen übrigens wurde nicht überall gestampft: „Das älteste Kind bekam neue Holzschuhe ohne Leder und musste so lange im Kraut treten, bis sie innen nass waren“, heißt es in einem Zeitzeugenbericht aus Westfalen.

Sauerkraut-Treter aus wiederverwendeten Gummireifen

Und im Echterdinger Stadtmuseum präsentiert Leiter Wolfgang Haug neben einem aus Buchenholz geschnittenen Stämpfel zum sanften Eindrücken des Krauts in die Konservendose auch gern Treter aus der Nachkriegszeit, die mit Resten von Autoreifen geflickt waren- ob sich die Gummi-Pneus auf den Geschmack auswirkten haben, ist leider nicht überliefert.