Thea Stietz hat als Kind am liebsten zwischen Rems und Mühlkanal gespielt. Inzwischen lebt und arbeitet sie in der Hegnacher Mühle. Die 19-Jährige möchte die Familientradition fortführen und deswegen den Betrieb eines Tages von ihrem Vater übernehmen.

Waiblingen - Bei Thea Stietz in der guten Stube riecht es nicht nach frisch gemahlenem Mehl, sondern nach verbranntem Holz. „Hier gibt es keine Heizung, ich muss Feuer im Kachelofen machen, wenn ich es warm haben will“, sagt die junge Frau. Seit knapp zwei Jahren wohnt sie in einem Anbau der Hegnacher Mühle, vermisst hat sie den Luxus einer Zentralheizung noch nie. Auch, dass sie abgelegen in der Remsschlucht lebt, stört sie höchst selten. „Spontan weggehen, das geht natürlich nicht. Da brauche ich den ganzen Abend, bis ich endlich in Stuttgart bin“, sagt die 19-Jährige. Aber einsam fühlt sie sich deswegen nicht. Außer sonntags wird jeden Tag in der Mühle gearbeitet, da herrscht sowieso genug Betrieb. Erst abends oder am Sonntag ist es ruhig am Mühlkanal. „Oft komme ich erst spät am Abend/ dazu, mich ans Klavier zu setzen. In einer normalen Wohnung könnte ich um halb elf nicht mehr spielen, hier schon“, sagt Thea Stietz.

 

Von ihrem Schlafzimmer aus schaut sie auf den Mühlkanal, der die Turbine mit Wasser versorgt, und mitten ins Grün der Insel zwischen Kanal und Rems. „Als Kind war es toll, hier zu spielen. Wir haben sogar einen kleinen Sandstrand“, erzählt Thea Stietz, die heute noch die Natur vor der Haustür genießt. Schon früh habe sie damit getönt, eines Tages die Mühle zu übernehmen. Diese wurde 1874 gebaut und befindet sich seit 1899 in Familienbesitz. „Für mich war der Gedanke immer furchtbar, dass ich eines Tages meinen Kindern die Mühle zeige und dann sagen muss, dass sie einmal uns gehört hat, wir aber nicht mehr hinein dürfen“, erzählt sie.

Sie folgt den Urgroßeltern nach

Trotzdem war es dann ein ganz spontaner Entschluss, die Ausbildung zum Müller anzufangen. Beim Abitur war Thea Stietz erst 17 Jahre alt. Eigentlich wollte sie vor dem Studium erst einmal ein Freiwilliges Jahr machen. Doch sie fand keinen Platz und entschied sich erst Mitte August, im September mit der Ausbildung zu beginnen. Zunächst in einer anderen Mühle, doch weil es dort nicht richtig funktionierte, wechselte sie vor etwa zwei Jahren in den elterlichen Betrieb. Und zog in den Anbau, den ihre Urgroßeltern einst errichten ließen. „Nach einem großen Hochwasser musste in den sechziger Jahren eine neue Brücke gebaut werden. Und weil die Arbeiter eh da waren, ließ mein Urgroßvater auch den Anbau hinstellen“, erzählt sie. Im Erdgeschoss ist das Büro untergebracht, im Obergeschoss wohnt Thea Stietz. „Seit meine Uroma gestorben ist, standen die Zimmer leer“, sagt sie. Eine Küche hat sie nicht, zwei Kochplatten müssen reichen.

Die Mühle als romantischer Ort?

Dort wird sie auch wohnen bleiben, wenn sie im kommenden Jahr mit dem Meisterkurs beginnt. „Danach möchte ich aber noch zum Studieren weggehen“, sagt sie. Auch ihren Eltern sei es wichtig, dass sie noch etwas von der Welt sieht: „Sie hatten ein wenig die Befürchtung, dass ich die Ausbildung nur aus Pflichtgefühl anfange, aber so ist es nicht. Mir macht der Beruf Spaß“, sagt Thea Stietz. Zumindest das meiste davon. 25-Kilo-Säcke abzufüllen, das sei schon ein ganz schöner Kraftakt. Deswegen wundert es sie auch, dass die Mühle für viele ein so romantischer Ort ist: „Das war früher richtig harte Arbeit. Und in so einem kleinen Betrieb wie unserem macht man immer noch viel von Hand“, sagt sie. Thea Stietz ist eine von wenigen Frauen , die den Beruf überhaupt ergreifen.

Besser gefällt es ihr, den Internetauftritt und Flyer zu gestalten oder neue Ideen wie das Urgetreideprojekt (siehe Infokasten) zu entwickeln. „Ich mache gerne mein Ding“ sagt Thea Stietz. Deswegen ist sie auch fest entschlossen, in einigen Jahren wieder nach Hegnach zurückzukehren, und den Betrieb von ihrem Vater zu übernehmen. Und vielleicht können dann auch ihre eigenen Kinder einmal am Strand der Mühleninsel spielen.

Urgetreide neu entdeckt

Urgetreide
Funde belegen, dass in Europa bereits etwa 7000 vor Christus Urgetreidearten wie Emmer, Einkorn oder Dinkel angebaut wurden. Heute sind diese nur noch selten zu finden. Dabei haben sie einige Vorteile: Emmer etwa enthält viele Carotinoide, die für die Sehkraft wichtig sind, im Einkorn stecken viele Aminosäuren und Mineralstoffe. Auch für Weizenallergiker sind Dinkel und Einkorn eine Alternative.

Projekt
Die Hegnacher Mühle hat zusammen mit einem Landwirt dieses Jahr zum ersten Mal Emmer und Einkorn angebaut. Für die Verarbeitung musste eine Maschine zur Getreideentspelzung in die Mühlenanlage eingebaut werden. Mittlerweile ist das erste Mehl gemahlen und wird im Mühlenladen verkauft.