Regelmäßig kehrt die Stuttgarter Zeitung mit Prominenten an persönliche Ausgangspunkte zurück. Diesmal geht es mit Michi Beck ans Karls-Gymnasium, das der Mann von den Fantastischen Vier mit gemischten Gefühlen betritt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Michi Beck ist zunächst einmal überrascht: „Das Treppenhaus ist ja jetzt richtig schön rausgeputzt. Zu unserer Zeit war das alles viel abgerockter.“ Und dann erzählt das Fantastische-Vier-Mitglied, dass er immer wieder mal an seiner alten Schule vorbei spaziert sei, auch mal rein gespickt habe, aber nie mehr wirklich reingegangen sei. Jetzt ist er drin, läuft mit federnden Schritten und ziemlich gut gelaunt durch das im Renaissance-Stil gehaltene Schulhaus und sagt: „Das ist der ultimative Flashback.“ So soll es auch sein in der Serie „Wo alles begann“, in der Prominente an Ausgangspunkte geführt werden, um von dort in die eigene Vergangenheit zu reisen.

 

Wir sind deshalb im Stuttgarter Karls-Gymnasium in der Tübinger Straße gelandet, dort wo Michael Beck, den auch hier alle schon immer Michi nannten, von Ende der 70er bis Mitte der 80er zur Schule gegangen ist. „Mit sehr überschaubarem Erfolg“, so umschreibt er die Tatsache, dass er nicht in die zwölfte Klasse versetzt worden war und die Schule als Wiederholungswiederholer verließ – „unehrenhaft“, wie er sagt. Vor dem Termin sei er sich deshalb überhaupt nicht sicher gewesen, was der Schulbesuch bei ihm auslösen würde. Jetzt hat er schnell gemerkt: „Es ist ein gutes Gefühl, es sind schöne Erinnerungen.“

Wir stehen vor dem Rektorat im ersten Stock. Bevor an die Tür geklopft wird, zitiert Michi Beck aber vorsichtshalber noch einen Oasis-Titel: „Don’t look back in anger.“ Nein, er schaut jetzt nicht im Zorn zurück, sondern nach vorn, auf den Herrn gegenüber. Gestatten: Dieter Elsässer, seit 2005 Rektor am Karls-Gymnasium und deshalb im Fall Beck völlig unbelastet. „Und wer ist jetzt der Prominente?“, begrüßt der freundliche Schulleiter den Hip-Hop-Star und seinen Gesprächspartner, der einst auch ins Karls-Gymnasium gegangen ist, zwei Klassen über Michi Beck. Es könnte theoretisch sein, dass Herr Elsässer den wohl prominentesten KG-Schüler neben dem Komiker Oscar Heiler und dem SPD-Politiker und Staatsrechtler Carlo Schmid auf die Schnelle nicht erkennt. Der Latein- und Altgriechisch-Lehrer schaut ja vermutlich auch häufiger ins „Forum Classicum“, der Fachzeitschrift für den Altphilologen als „The Voice“. Als Coach der Musikshow an der Seite des Fanta-4-Kollegen Smudo war Michi Beck zuletzt im Fernsehen sehr präsent. Dort zeigt er sich selbstbewusst und sympathisch. Diese sehr seltene Mischung ist jetzt auch im Karls-Gymnasium zu erleben, wo die Nachmittagsschüler den prominenten Rückkehrer sofort erkennen. Pause. Autogrammstunde.

Am Schulweg zeigt sich der faule Schüler

In Klassenzimmer Nummer 4 wird das Unterrichtsgespräch fortgesetzt. „Der Raum und der Ausblick kommen mir sehr bekannt vor“, sagt Michi Beck und schaut in Richtung der benachbarten Brauerei Dinkelacker, die bei Westwind auch immer gleich einen starken Malzgeruch mitgeliefert hat: „Das war, glaube ich, mal mein Klassenzimmer, auf jeden Fall war ich hier zum Nachsitzen.“ Als Klassenkasper habe er hier die eine oder andere Stunde verbracht.

Engagiert hat er sich um eine lockere Atmosphäre in der Klasse bemüht, weniger engagiert um sein schulische Fortkommen. „Ich war ziemlich faul.“ Das zeigte sich ja schon bei der eigenwilligen Gestaltung des Schulwegs. Vom Elternhaus in der Alten Weinsteige, in dem sein acht Jahre älter Bruder heute noch lebt, waren es keine 20 Gehminuten ins Karls-Gymnasium. Trotzdem wählte Michi Beck häufig die entspannte Variante: mit der Zahnradbahn zum Marienplatz und von dort eine Station weiter mit dem Bus. Dann kurz die Anlage am Silberbuckel runter. Bei Schnee wurden die letzten Meter auf dem damals unvermeidlichen knallfarbenen Plastikschulkoffer runtergerutscht. Ankommen, schnell noch Hausaufgaben abschreiben, und dann konnte es losgehen.

„Ich gehörte nicht zu den Coolen in der Klasse“, so lautet das selbst ausgestellte Schulpsychogramm „ich war kein Außenseiter, hatte aber auch nicht sehr viele Freunde. Und ich bilde mir ein, dass mich einige meiner Lehrer zumindest charakterlich ganz okay fanden.“

So hat es Michi Beck auch nicht wirklich als Genugtuung empfunden, als sich später mit den Fantastischen 4 der große Erfolg einstellt. Machte ihn in der Schule die Prüfungsangst schwer zu schaffen („Ich bin danach auch noch ein paar Mal durch die Führerscheinprüfung gefallen“) hatte er vor einem Auftritt mit seiner Band nie besonders schlimmes Lampenfieber. „Ich war ein Spätentwickler“, sagt der sehr jung gebliebene 49-Jährige, der deshalb im Schwimmunterricht damals lieber die Einzelkabine wählte.

Irgendwie ist das Karls-Gymnasium für den Spätentwickler zu früh gekommen. Trotzdem fand er es von seinem Vater, einem Zahnarzt, keine schlechte Idee, ihn auf das humanistische Gymnasium zu schicken. „Da ist schon was hängengeblieben.“

Wie heißt es doch über die humanistische Bildung? Es ist ihr Ziel, den Menschen zu befähigen, seine wahre Bestimmung zu erkennen. Bei Michi Beck ist dieser Plan voll aufgegangen. Schulziel am Ende doch irgendwie erreicht. „Ich wusste, dass es auf etwas Künstlerisches herauslaufen sollte – zunächst dachte ich an Mode oder Schauspielerei.“ Seine Eltern waren von dieser Idee zunächst allerdings nicht restlos überzeugt. Weshalb ihm vom Vater nach der vorzeitig abgebrochenen Schulzeit am Karls-Gymnasium 1985 erst einmal ein Zwischenstopp an einer Kaufmännischen Schule vermittelt wurde. „Dort war ich plötzlich der Intellektuelle. Und danach machte ich in Stahl“, sagt Beck, der „beim Eisen-Haller“ auf dem Pragsattel zum Groß- und Außenhandelskaufmann ausgebildet wurde. Ob ihm heute ohne Abitur manchmal etwas fehle? „Nein“, sagt er, „weil ich im Gespräch mit Leuten, die das Abi haben, in der Regel nicht das Gefühl habe, blöder zu sein.“

Vor der Musik kommt die Lehre beim Eisen-Haller

In seiner Stahl-Zeit lernt er dann auch die Menschen kennen, mit denen er die erfolgreichste deutsche Hip-Hop-Gruppe bildet. Der Sprechgesang war gerade erst aus den USA nach Deutschland geschwappt, und Beck eröffnet sich eine ganz neue Welt, eine Ausdrucksform, wie für ihn gemacht. Im Jugendhaus Degerloch plant er eine Hip-Hop-Veranstaltung, für die auch in Gerlingen Plakate geklebt werden. Auf die Party kommen so auch Thomas Dürr, alias Thomas D, und sein Kumpel Michael Bernd Schmidt (Smudo), der mit Andreas Rieke (And.Ypsilon) bereits Musik macht. Das Terminal Team wird geboren, das sich kurze Zeit später in Die Fantastischen Vier umbenennt. „Das waren Beats und Reime, rotzig und lyrisch noch sehr ungelenk“, erinnert sich Michi Beck an die Anfangszeit. „Neben der Musik verband uns auch, dass wir alle so ein bisschen Außenseiter in der Schule waren“, sagt Michi Beck zu einer Verbindung, die seit 1989 von Andreas „Bär“ Läsker gemanagt wird und bald ihr 30-Jahr-Jubiläum feiert. „In dieser Gruppe fühle ich mich immer sicher und gut aufgehoben“, sagt er.

Stuttgart ist immer noch ein Fixpunkt für die vier, auch wenn sie mittlerweile ziemlich weit auseinander wohnen. Michi Beck lebt mit seiner Frau, die aus Stuttgart-Nord stammt, und den beiden Töchtern in Berlin. Die Familie denkt immer mal wieder über eine Rückkehr nach Stuttgart nach. „Meine Ältere könnte ich ja dann aufs Karls-Gymnasium schicken“, sagt Michi Beck lachend, als er seine alte Schule verlässt und jetzt noch zu Fuß in die nahe gelegene Innenstadt gehen will. Einen Kaffee trinken. Den Eis-Zanetti, das Café Bauer, das alte Merlin oder das Insomnia, die früheren Einkehrmöglichkeiten direkt am Karls-Gymnasium, gibt es ja heute nicht mehr.

Michi Beck verabschiedet sich , schaut nochmal zurück auf seine Schule – not in anger – und ist weg. So verpasst er um Haaresbreite Herrn Kirschmann, für den gerade der Nachmittagsunterricht endet. „Mensch, den hätte ich auch gern gesehen. Das war schon ein besonderer Schüler“, sagt der letzte noch aktive Michi-Beck-Lehrer am Karls-Gymnasium.