Der Chinese Huang Xiaoshan ist Selbstdarsteller und Umweltaktivist. Er hat einen Anwaltsjob aufgegeben, um für gute Luft und sauberes Wasser zu kämpfen. Doch das Land mit riesigen Umweltproblemen hat die Wende eingeleitet – er hat Anteil daran.

Peking - Den meisten Chinesen ist die Umwelt immer noch herzlich egal. Doch langsam kommt eine Veränderung in Gang – was zum Teil das Verdienst von Huang Xiaoshan ist: 54 Jahre alt, Jurist, Selbstdarsteller und Umweltaktivist. „Man muss Themen wie Luft, Wasser oder Müll unterhaltsam und eindringlich rüberbringen“, glaubt Huang.

 

Der gebürtige Pekinger hat immer eine tolle Frisur, hüllt sich in einen tollen Mantel und trägt eine tolle Brille – diesmal eine, deren Bügel aus Holz geschnitzt sind. „Das Publikum hört eher jemandem zu, der einen edlen Look pflegt“, glaubt er, „zumal, wenn es um Müll geht.“ Müll – und seine korrekte Entsorgung – ist Huangs großes Thema. Aus seiner Sicht geht es dabei aber um viel mehr als um stinkende Abfälle. „Es geht um die Haltung gegenüber der Natur und unseren Planeten. Müll lässt sich tief philosophisch verstehen.“ Mit solchen Sprüchen tingelt Huang durch Talkshows – und erhält lauten Applaus.

Nicht mal jeder Zehnte atmet saubere Luft

China ist derzeit eines der Länder mit den schlimmsten Umweltproblemen weltweit. Bei den Klimagesprächen in Paris muss sich China die Rolle des Landes gefallen lassen, das am meisten klimaschädliche Gase produziert. Doch Kohlendioxid ist nur ein Teil der Schwierigkeiten. Weniger als ein Zehntel der Bevölkerung atmet saubere Luft, wie eine Studie der Universität Nanjing ergeben hat. Bis zu einem Fünftel des Bodens ist zu verseucht, um Getreide oder Gemüse darauf anzubauen. Das Trinkwasser enthält in vielen Regionen zu viel Blei.

Doch gerade weil der Leidensdruck so groß ist, tut sich nun etwas. Während die Regierung eine Trendwende im Klimaschutz eingeleitet hat, steigt auch das Bewusstsein für den ganz unmittelbaren Naturschutz vor Ort. Auf beiden Ebenen sind die ersten Schritte klein, aber wichtig. „Zumindest das Thema Müll dringt jetzt ins Bewusstsein vor“, sagt Huang. „Man kann scherzhaft sagen, dass das an mir liegt.“

Huang war in seinem vorigen Leben ein erfolgreicher Anwalt. Er gehörte zur ersten Generation, die nach der Einführung der Marktwirtschaft reich geworden ist. Er leistete sich eine Villa am Stadtrand von Peking, deren Wert seitdem um ein Vielfaches gestiegen ist.

Mit dieser Villa fing auch seine Hinwendung zum Abfall an. Denn auf das Nachbargrundstück wollte die Stadt eine Müllverbrennungsanlage setzen. Huang war im Urlaub in Ägypten, als ihn ein Bekannter mit der Neuigkeit anrief – und flog sofort zurück, um dagegen Protest zu organisieren. Wenn den ganzen Tag Laster mit stinkendem Abfall vorbeifahren, hätte dies den Wert seiner Immobilie um bis zu 20 Prozent verringert – das wären zwei Millionen Euro gewesen. Außerdem hätten die Schornsteine dioxinhaltigen Rauch voller Feinstaub in die Luft gepustet. Denn die Betreiber schalten oft die Filter ab, um Strom zu sparen.

Von der Polizei ins Gefängnis gesteckt

Huang organisierte etwas später auch eine Demonstration in der Innenstadt und forderte mehr Einbeziehung von Anwohnern in die Planung neuer Anlagen. Er stand mit Gleichgesinnten im Regen und hielt Transparente gegen den willkürlichen Bau hoch, als er sein Schlüsselerlebnis hatte. Die Polizei rückte mit einem Mannschaftswagen an und nahm die gut situierten Bürger pauschal fest – wegen Anstiftung zum Aufruhr und Widerstand gegen den Staat. Der erfolgreiche Anwalt fand sich im Gefängnis wieder, zusammen mit zwei seiner Nachbarn im Rentenalter.

Huang war entsetzt: Bürgerbeteiligung und hohe Umweltstandards erschienen ihm im modernen China selbstverständlich. Doch statt die Müllentsorgung zu verbessern, steckte der Staat kritische Bürger ins Gefängnis. Huang beschloss noch in der Zelle, etwas zu unternehmen. Da ahnte er noch nicht, dass damit seine Karriere als Anwalt enden würde.

Huangs Engagement fing zwar mit egoistischer Verteidigung seines Besitzstands an, doch seit der Verhaftung begann er, sich weiter mit der Materie zu beschäftigen. „Ich entwickelte richtig starke Gefühle für Müll.“ Er sah sich um und nahm erstmals wahr, wie viele Verpackungen und Getränkedosen seine Mitbürger achtlos in die Landschaft werfen. Studienreisen nach Japan und Deutschland öffneten ihm die Augen dafür, dass Müllverbrennung nicht schlecht sein muss, wenn sie richtig gemacht ist.

Allerdings macht China hier aber noch sehr viel falsch, wie Huang immer wieder erklärt. Das Hauptproblem ist die Trennung. Müll liegt in Japan oder Deutschland meist sortenrein vor – schon daheim haben die Verbraucher die Bananenschalen in andere Tonnen geworfen als die Joghurtbecher. Was in Europa selbstverständlich ist, leuchtet Chinesen nicht ein. Sie werfen grundsätzlich alles in die gleiche Tonne. Der Brennwert dieses nassen Mischmülls liegt jedoch nur bei ungefähr 800 Kalorien pro Kilogramm, während er in Japan mehr als 3000 Kalorien erreicht, rechnet Huang vor.

Viel schlimmer: die Müllverbrennungsanlagen lassen den Müll für eine gute Woche in Gruben lagern, damit Wasser aussickert. Das verschmutzt das Grundwasser. China brauche ein Mülltrennungssystem und eine flächendeckende Erziehung zum richtigen Wegwerfen.

Ein Prediger in Sachen Müll

Bei diesen Zielen bleibt Huang jedoch nicht stehen. „Es geht nicht in erster Linie um technische Details, es geht um Grundsatzfragen“, meint er. Die eine ist die Einstellung der Chinesen zur Natur: Weiter rücksichtslose Ausbeutung – oder doch der Versuch, noch etwas zu bewahren? Eine andere Frage betrifft das Verhältnis des Bürgers zum Staat: Warten, bis die Regierung etwas tut – oder selbst aktiv werden?

Huang stilisierte sich zur Medienfigur, um schwerer angreifbar zu sein und möglichst viele Leute zu erreichen. Die wechselnden, teuren Frisuren machten ihn bei Fernsehleuten beliebt. Er war kein absonderlicher Umwelt-Typ, sondern wurde gern gesehener Prediger in Sachen Müll. „Ich zitiere im TV Heidegger und Nietzsche und sage, wie sehr ich Deutschland verehre“ – wegen seiner tiefgründigen Denker und vollständigen Mülltrennung. Er hat noch nie so viel Philosophie gelesen wie seit Beginn seins Müll-Engagements.

Die öffentlichen Auftritte sind inzwischen für Huang so etwas wie eine Sucht. Zwischendurch hat er Projekte für Mülltrennung angeschoben und so lange vom Ersparten gelebt. Inzwischen arbeitet er bei einer Firma aus dem Umweltbereich und verdient dort immer noch viel weniger als vorher. „Aber ich bin glücklich“, sagt er. „Was ich jetzt mache, hat wenigstens Sinn.“