Vanda Zeschick zieht als erste Migrantin in den Gemeinderat ein. In Bondorf ist man schon weiter: Yusuf Zengin, Zuwanderer der zweiten Generation, lenkt bereits seit fünf Jahren die Geschicke seines Ortes mit.

Böblingen/Bondorf - Wenn demnächst der neue Böblinger Gemeinderat zum ersten Mal tagt, dann wird eine Rätin besonders auffallen: Mit Vanda Zeschick zieht erstmals eine Migrantin ins Böblinger Stadtparlament ein. Gleich auf Anhieb schaffte die gebürtige Brasilianerin, die vor 22 Jahren nach Deutschland kam, den Sprung in das Gremium. Nicht nur im Gemeinderat für die gesamte Stadt wird die 48-Jährige mitreden, auch in den Dagersheimer Ortschaftsrat wurde sie gewählt.

 

Der Weg von Vanda Zeschick in die Kommulapolitik verlief typisch weiblich mit dem Engagement als Elternbeirätin in der Grundschule ihrer Kinder. Vor zwei Jahren dann wurde sie in den neu gegründeten Integrationsrat gewählt. Für Dolmetscher bei Elterngespräche an Schulen hat sie sich eingesetzt, arbeitet mit am Projekt interkultureller Garten. Die Arbeit macht ihr Spaß, doch sie hat erkannt: „So richtig politisch bewegen kann man als Integrationsrat nicht so viel.“ Und daher sagte sie zu, als sie zur Kandidatur für den Gemeinderat aufgefordert wurde. „Fast alle Parteien haben mich angesprochen“, erzählt Zeschick. Den Ausschlag für die SPD hätten Gespräche mit ihren 18 und 16 Jahre alten Töchtern gegeben.

Viele Migranten bewerben sich, kaum einer wird gewählt

Obwohl die 48-Jährige hier bestens integriert ist, sich in der Arbeit mit Migrantenkindern und beim TSV Dagersheim engagiert, war sie überrascht, gleich bei der ersten Kandidatur so viele Stimmen zu erhalten – als einzige Dagersheimer SPD-Vertreterin schaffte sie es ins Stadtparlament. Und als einzige Bewerberin mit Migrationshintergrund – obwohl die Wahlplakate der Parteien im Kreis Böblingen dieses Mal so bunt waren wie nie zuvor. Namen, die auf spanische, türkische oder afrikanische Wurzeln hinweisen, schmückten die Werbetafeln aller Parteien vor allem in den Städten Sindelfingen und Böblingen. Geschafft hat es jedoch – außer Zeschick – keiner der mit viel Elan angetretenen Migranten der ersten oder zweiten Generation – noch nicht einmal die Alhan-Geschwister, die in Böblingen durch ihr vielfältiges Engagement bekannt sind wie bunte Hunde.

Was in Böblingen offenbar noch schwierig ist, das ist im kleinen Bondorf, der südlichsten Kommune im Landkreis, längst Realität. Bereits vor fünf Jahren zog dort der erste Rat mit Migrationshintergrund ins Rathaus ein. Yusuf Zengins Karriere, dessen Eltern in den 60er Jahren als Gastarbeiter zum Daimler kamen, begann im Sportverein. Als Sechsjähriger fing er beim SV Bondorf in der F-Jugend mit dem Kicken an und spielte seine ganze Jugend hindurch, später wurde er Übungsleiter bei den Kleinen. Heute ist er als Organisator eine feste Größe in der Fußballregion. So mischt er beim jährlichen Großevent im benachbarten Rottenburg-Ergenzingen mit, vermittelt die Kontakte zu türkischen Mannschaften für das alljährliche internationale Pfingstturnier. Als sein heute zehnjähriger Sohn in den Kindergarten kam, wurde Zengin Mitglied im Elternbeirat.

Zengin scheint jeden Bürger der 4000-Einwohner-Kommune Bondorf zu kennen. Beim Interview mit ihm auf der Terrasse des Cafés vor dem Rathaus, grüßt ihn praktisch jeder, der vorbeikommt. „Bondorf ist meine Heimat. Hier bin ich groß geworden“, sagt der 41-Jährige, der seit zehn Jahren einen deutschen Pass hat. Nur ein Jahr habe er außerhalb seiner Heimatkommune gelebt, aus beruflichen Gründen in Bad Neustadt/Saale, sei aber schnell zurückgekommen. „Meine Eltern und Geschwister und meine Freunde – alle leben sie hier.“

Sich in und für seinen Ort zu engagieren, das ist für den Automobil-Betriebswirt selbstverständlich. Und als man ihn vor fünf Jahren fragte, ob er nicht im Gemeinderat mitmachen wolle, da habe er nicht lange nachgedacht. „Ich wollte ganz bewusst ein Zeichen setzen für alle Ausländer: ‚Seht her, wenn man will, kann man was erreichen.’“ Seine Erfahrungen in den vergangenen fünf Jahren seien nur positiv. Vorbehalte hätte er nie erfahren. „Mich kennen ja alle. Sogar mein früherer Lehrer sitzt mit mir im Gremium.“

Vor allem schätzt Zengin, dass Parteizugehörigkeit in Bondorf keine Rolle spiele. „Es geht stets um die Sache.“ Deshalb sei es eigentlich egal, dass er für die SPD im Gremium sitzt. „Ich wurde damals auch von anderen Parteien gefragt. Aber das Soziale, das mir am Herzen liegt, hat dann den Ausschlag für die Sozialdemokraten gegeben.“

Brücke zwischen Deutschen und Zuwanderern

Zengin versteht sich als Brücke zwischen den alteingesessenen Bondorfern und den Migranten. So hat er durchgesetzt, dass Muslime auf dem Friedhof nach islamischen Ritus gewaschen werden können. Und er ist Ansprechpartner für alle Türkischstämmigen im Ort. „Die kommen zu mir, wenn sie einen Brief von einer Behörde nicht verstehen, wenn ihre Kinder Probleme in der Schule haben oder wenn es um die Überführung ihrer toten Eltern in die Türkei geht.“ Auch Behörden, Ärzte und Vereine schätzen den 41-Jährigen als Dolmetscher und Vermittler.

Zengin hofft, dass sein Vorbild auch andere Zuwanderer ermutigt, sich stärker politisch und gesellschaftlich zu engagieren. Erste Erfolge sieht er bereits. „Bei den Festen des SV Bondorf sieht man jetzt auch Frauen mit Kopftuch, die Pommes verkaufen. Das zeigt, dass sie sich zum Verein zugehörig fühlen.“

Böblingen/Sindelfingen - Bundesweit sind in den Kommunalparlamenten die Migranten stark unterrepräsentiert. Obwohl mehr als ein Viertel der Bevölkerung Wurzeln im Ausland hat, stellt diese Gruppe allein in den 77 deutschen Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern nur vier Prozent der Stadträte. So lautet das Ergebnis einer Studie des Max-Planck-Instituts und der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2011.

Spitzenreiter war die Stadt Frankfurt am Main, die 15 Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund verzeichnete. In 15 Großstädten hingegen gab es laut der Studie keinen einzigen Stadtrat mit Wurzeln im Ausland, darunter waren Kommunen mit einem sehr hohem Anteil an Zuwanderern wie Pforzheim und Heilbronn. In kleineren Kommunen sieht es nicht besser aus. Dabei können sich auch EU-Bürger bei den Kommunalwahlen aufstellen lassen.

In den noch bestehenden Gremien in Böblingen und Sindelfingen gibt es ebenfalls kein einziges Mitglied mit Migrationshintergrund. In Sindelfingen werden die Zuwanderer durch den Internationalen Ausschuss an der Politik beteiligt. In diesem sitzen neben einigen Stadträten auch sachkundige Bürger. Sie werden vom Gemeinderat berufen – und dürfen keinen deutschen Pass haben. Dieser Ausschuss hat eine beratende, aber keine beschließende Funktion – kann also nur Empfehlungen an den Gemeinderat aussprechen.

In Böblingen arbeitet man hingegen mit einem Integrationsrat. Dessen Mitglieder sind Menschen mit Migrationshintergrund – mit und ohne deutschen Pass. Allerdings hat dieses vor anderthalb Jahren ins Leben gerufene Gremium weder eine beratende noch beschließende Funktion. Ziel ist es, dass Integrationsräte in diverse Ausschüsse wie den Schulbeirat oder Seniorenbeirat als sachkundige Bürger berufen werden