Wie verändert das Leben in einer anderen Kultur die Menschen? Darüber haben wir mit zwei zugewanderten Sindelfingern gesprochen: mit Bernardino Di Croce, einem italienischen Gastarbeiter der ersten Stunde, und der jungen Inderin Zaee Kale.

Sindelfingen - Auf der Terrasse eines italienischen Eiscafés in der Sindelfinger Innenstadt findet bei schönstem Sommerwetter das Gespräch mit Zaee Kale und und Bernardino Di Croce statt. Doch nicht etwa der Italiener hat die Location gewählt, sondern die junge Frau aus Indien. „Es ist meine Lieblingseisdiele“, verrät die 34-Jährige, die vor elf Jahren mit ihrem Mann aus Indien nach Sindelfingen gezogen ist. Das Eis bezahlt Bernardino Di Croce. „Ich bin noch von der alten Schule. Da lädt man Damen ein.“ Dann erzählen die beiden Sindelfinger, die sich bisher nicht kannten, wie es war, als sie nach Deutschland kamen, und wie sie sich seither verändert haben.

 
Frau Kale, was hat Sie vor vor elf Jahren, als Sie aus Indien nach Deutschland kamen, am meisten irritiert?
Kale Das Licht. Mir fehlte die Sonne. Hier wird es im Winter schon nachmittags um vier Uhr dunkel. Ich wurde im ersten Winter richtig depressiv.
Herr Di Croce, was hat Sie anfangs gestört?
Di Croce Ich kam 1960 mit 16 Jahren nach Deutschland. Damals waren wir Gastarbeiter. Wir hatten keine Rechte, bekamen nur für neun Monate eine Aufenthaltserlaubnis und mussten dann über den Winter wieder nach Italien zurück. Man steckte uns in Baracken. Da lebten wir in Zimmern mit Stockbetten für acht Mann. Das war ganz anders, als man uns in Italien erzählt hatte: gutes Land, gutes Geld, blonde Mädchen. Das gab es zwar, aber nicht für uns Gastarbeiter. Ich habe gefühlt: Wir sind hier nicht willkommen, nicht dauerhaft. Das hat mich gestört.
Und wie ist es heute?
Di Croce Heute bin ich hier zuhause. Meine Kinder und Enkel sind Deutsche. Die Menschen hier in Deutschland haben sich sehr verändert in den 50 Jahren. Kale Ich dachte immer, dass die Unterschiede zwischen Deutschland und Italien klein sind, im Gegensatz zu Indien: Das ist eine ganz andere Kultur. Hier gibt es zum Beispiel viele italienische Restaurants.
Di Croce Heute ja, aber nicht in den 1960er Jahren. Da waren die Deutschen uns gegenüber misstrauisch. Wir waren die Spaghettifresser. Ich lebte am Anfang in Villingen. Da gab es ein einziges italienisches Eiscafé. Das war der Treffpunkt für uns Gastarbeiter. Aber heute ist alles anders in Deutschland.
Was denn?
Di Croce Schauen Sie sich um. Anfangs saßen nur wir Italiener draußen in der Eisdiele. Und der Besitzer ermahnte uns ständig, nicht zu laut zu sein. Wir kannten aus unserer Heimat aber, dass sich das Leben draußen abspielt. Heute sind die Deutschen italienischer als die Italiener und sitzen sogar im Winter vor den Restaurants.
Was gefällt Ihnen in Deutschland?
Kale Die Ordnung, die Sicherheit und die Pünktlichkeit. Ich kann hier abends um 23 Uhr alleine auf der Straße laufen. Das ist in Indien für eine Frau zu gefährlich. Alles ist hier geregelt. Nirgendwo muss ich lange warten. Sogar der Bus fährt pünktlich. Das schätze ich sehr an Deutschland.
Und wenn Sie in Indien sind. Fühlen Sie sich da manchmal deutsch?
Kale Ja, in manchen Dingen schon. Ich muss immer aufpassen, dass ich nicht zu oft sage: „Das wäre jetzt aber in Deutschland nicht passiert.“ Meine Freunde sagen: „Du bist eine Deutsche.“