Netflix hat bislang viele ungewöhnliche Projekte finanziert. Das Aus für die Trickserie „Tuca & Bertie“ aber zeigt: Der Gürtel wird im härter werdenden Wettbewerb der Streamingdienste enger geschnallt

Wir packen an, was andere sich nicht trauen, und führen zum Erfolg, was anderswo gegen die Wand gefahren wurde – das schien einmal das gar nicht so heimliche Motto von Netflix zu sein. Der Streamingdienst gab grünes Licht Projekte, deren Zielgruppen allen anderen zu klein, zu unberechenbar, zu wählerisch erschienen, und griff Serien auf, die anderswo eingestellt wurden. Stuttgart - Die Zeit der Wunder ist aber wohl vorbei. Vergangene Woche hat Netflix schon wieder ein doppeltes Serien-Aus verkündet.

 

Der Politthriller „Designated Survivor“ mit Kiefer Sutherland war beim Sender ABC nach zwei Staffeln abgesetzt worden, Netflix hatte eine dritte produziert, doch bei der wird es nun bleiben. Viel schmerzlicher: Netflix eigene Trickserie „Tuca & Bertie“ wird nach nur einer Staffel eingestellt. Dabei prägt die Erfinderin der surrealen Geschichten aus einer Stadt voller menschenähnlicher Vögel, die 36-jährige Comiczeichnerin Lisa Hanawalt, als Szenenbildnerin auch die Animationsserie „BoJack Horseman“, die zu den Netflix-Erfolgen zählt. Hanawalt baut in „Tuca & Bertie“ eher noch aus, was „BoJack Horseman“ an Originalität zu bieten hat.

Gerede von der Krise

Dass dieser Tage oft Meldungen mit dem Tenor „Schwere Krise bei Netflix“ durch Netze und Medien laufen, ist trotzdem Quatsch. Den Managern des früheren Videoverleihs Netflix war stets klar, dass große Konzerne mit tiefen Taschen ins Streaminggeschäft einsteigen würden. Darauf hat man sich mit Nischenpflege, Geschmackstests und dem Aufbau einer eigenen Programmbibliothek vorzubereiten versucht. Dass Firmen wie Disney und Warner ihre eigenen Filme und Serien bei Netflix abziehen und auf eigenen Streamingkanälen anbieten würden, war absehbar. Darum fährt Netflix lange schon volles Risiko und hat sich hoch verschuldet, um im Wettstreit mit anderen über viele eigene Produktionen zu verfügen.

Netflix gibt im Normalfall keine Zahlen heraus, was in welcher Region und in welchen Milieus wie gut läuft. Das Ende für „Tuca & Bertie“ lässt aber ahnen: die Nische für Unkonventionelles, Schlaues und Raffiniertes ist nicht so ertragreich, dass Netflix hier wirklich viele Ressourcen investieren wird.

Lüsterne Vögel

Daran wird wohl auch nicht viel ändern, dass das US-Branchenblatt „Variety“ gerade in einem leidenschaftlichen Nachruf das hohe C gesungen und noch einmal darauf hingewiesen hat, wie besonders „Tuca & Bertie“ ist: „Lisa Hanawalts Trickkomödie lässt sich, mit ihrer überbordenden, von lüsternen Vögeln und latenten Ängsten prall gefüllten Welt, mit nichts anderem im Fernsehen vergleichen, weder inhaltlich noch stilistisch. Und nicht von ungefähr ist ‚Tuca & Bertie’ eine der verschwindend wenigen Animationskomödien von einer Frau, ganz zu schweigen davon, dass zwei farbige Frauen, Ali Wong and Tiffany Haddish, Hauptrollen sprechen und als ausführende Produzentinnen agieren.“

Solche lobenden Kritiken und begeisterten Empfehlungen waren in den Aufbaujahren wichtig für Netflix, um ins Gespräch zu kommen. Nun ist die Marke weltweit bekannt, und man schaut auch bei Kritikerlieblingen auf die Zahlen.

Zeit für Mundpropaganda

Allerdings dürften die wenigsten Netflix-Abonnenten überhaupt mitbekommen haben, dass es „Tuca & Bertie“ gibt. Anfang Mai wurden die zehn knapp halbstündigen Episoden freigeschaltet, doch der Empfehlungsalgorithmus von Netflix hat sie nicht besonders favorisiert. Anders als beim linearen Fernsehen aber kann sich bei einem Streamingdienst Nachfrage allmählich aufbauen. .

Der Chef von Starzplay etwa, Jeffrey Hirsch, hat gerade erklärt, dass sein in Deutschland als Amazon-Subkanal abonnierbarer Streamingdienst den Schwerpunkt auf Angebote für Frauen verlagern werde: man folge da den Abrufzahlen. So muss auch das Aus für „Tuca & Bertie“ nicht endgültig sein: vorausgesetzt, via Mundpropaganda kommen in den nächsten Monaten viele Zuschauer hinzu.