In der fabelhaften Miniserie „Maniac“ spielen Emma Stone und Jonah Hill zwei traumatisierte Träumer.Regie führte Cary Joji Fukunaga, der mit „True Detective“ einst einen Senkrechtstart hingelegt hat.

Stuttgart - Fühlen Sie sich manchmal abgespannt, traurig und überfordert von der Welt? – Im Kosmos von „Maniac“, dem neuesten Seriencoup des Streamingdienstes Netflix, scheint es für all diese Probleme die ultimative Lösung zu geben. In einem Amerika irgendwo zwischen Zukunft und Vergangenheit arbeitet der Neberdine Pharmaceutical und Biotech-Konzern an einer ebenso einzigartigen wie vielversprechenden Medikamentenstudie. Mithilfe dreier Pillen in Form der Buchstaben A, B und C sollen sämtliche Malaisen des Menschen heilbar werden, vom Herzschmerz bis zur ausgewachsenen Depression, Schizophrenie und anderen ernsten Geisteskrankheiten.

 

An nur drei Tagen erhalten handverlesene Probanden ihre Medikamente und genesen phasenweise von ihrem Unglück, indem sie zunächst mit ihren Traumata konfrontiert werden und im Folgenden lernen, sich ihren Ängsten zu stellen. Nach Einnahme der Pille C soll angeblich wieder Ordnung herrschen im Oberstübchen, doch der Weg dahin ist ein wahnsinnig bunter, aufregender und manchmal ziemlich verwirrender Psychotrip.

Ausgedacht hat sich dieses waghalsige Serien-Experiment kein Geringerer als Cary Joji Fukunaga, der als Regisseur der ersten Staffel von „True Detective“ 2014 Furore gemacht hat. Fukunaga, Sohn eines Japaners und einer Schwedin, greift zusammen mit sechs weiteren Drehbuchautoren die Idee einer bereits in Schweden realisierten gleichnamigen Serie auf, gestaltet aber anhand der Seelenlandschaften von zwei an der Studie teilnehmenden Probanden eine vollkommen eigene Welt.

Rabiate Koalabären

Die scheint nur auf den ersten Blick halbwegs normal, anhand einiger Indikatoren wird schnell klar, dass die Realität auch außerhalb von Neberdine Pharmaceutical eine andere ist als die uns bekannte. Darin kämpfen Annie Landsberg (Emma Stone) und Owen Milgrim (Jonah Hill) zunächst unabhängig voneinander mit inneren Dämonen. Annie ist arbeitslos und kann nicht einmal das Geld für ihr WG-Zimmer aufbringen. Zu ihrer Mutter hat sie ein gestörtes Verhältnis, und auch ein Streit mit ihrer Schwester, den sie nicht mehr lösen kann, bereitet ihr Kummer. Owen Milgrim stammt hingegen aus schwerreichem Elternhaus. Das jüngste von sechs Kindern gilt in der Familie als schwarzes Schaf. Angeblich, so hat man es ihm eingebläut, leidet er an einer schweren Form der Schizophrenie. Tatsächlich sieht Owen Menschen, die gar nicht da sind und die von rätselhaften Mustern raunen. Als Annie und Owen von der pillenbasierten Therapie bei Neberdine erfahren, sehen beide ihre Chance auf Heilung gekommen.

Schon in der Rahmenhandlung herrscht ein Wahnwitz, den man sonst kaum im Serienformat findet. Die Leute tragen merkwürdig unmoderne Klamotten, die Computer in den Büros sind antiquiert, Smartphones und Social Media scheinen keine Rolle zu spielen. Andererseits gibt es lustige Drohnen, die auf den Gehwegen eklige Hinterlassenschaften von Hunden einsaugen. Im Park spielt Annies bevorzugter Drogendealer Schach gegen einen plüschigen, allerdings ziemlich rabiaten Koalabären. Der Pharmakonzern verfügt dagegen über eine zeitgemäßere Technik. Die Probanden nächtigen während der Studie in winzigen Waben, die einerseits an Gummizellen, andererseits an das elegant futuristische Innere des Raumschiffes Discovery One aus Stanley Kubricks Sci-Fi-Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ erinnern.

Feierabendliche Sexabenteuer

Wie bei Kubrick gibt es auch in „Maniac“ einen intelligenten, zu tiefen Emotionen fähigen Computer mit der weiblich anmutenden Typenbezeichnung GRTA, der für die Auswertung der psychogenen Probandenträume zuständig ist. Überwacht werden die Studienteilnehmer von einer verrückten Wissenschaftler-Clique. Der Studienleiter Dr. Robert Muramato (Rome Kanda) hat selbst ein paar Probleme, die ihm schnell zum Verhängnis werden. Dr. James Mantleray (Justin Theroux) flüchtet sich für feierabendliche Sexabenteuer in virtuelle Welten, und Dr. Azumi Fujita (Sonoya Mizuno) raucht sogar in ihrer geschlossenen Schlafkapsel Kette.

Wirklich irre geht es aber in den drogeninduzierten Absenzen zu. Mit jeder Folge betreten Owen und Annie andere Szenen, die zunächst nichts mit ihren realen Biografien zu tun zu haben scheinen. Cary Fukunaga nutzt die Episodenstruktur und die erzählerische Prämisse des Drogenrausches, um dem Zuschauer wie auch den beiden Protagonisten immer wieder neue Alternativwelten zu erschließen. Mal geht die Reise in die Achtziger, wo Annie und Owen als White-Trash-Ehepaar zusammenleben, später finden sich die beiden in den Vierzigern wieder.

In einer anderen Variante arbeitet Owen für die Mafia, während Annie in einem Fantasy-Mittelalter im Stil von „Der Herr der Ringe“ lebt. In diesen Parallelbiografien kann man viel entdecken, ausgelassen jongliert Fukunaga mit Sujets, Genres und popkulturellen Anspielungen. „Maniac“ ist dabei viel mehr als nur ein zitatgespickter Bilderbogen; durch die hervorragenden Darsteller Emma Stone und Jonah Hill findet man schnell Zugang zu deren verrückter Seelenwanderung. Schade, dass dieser verschlungene Trip schon nach zehn Folgen ein Ende hat.