Jetzt ist es amtlich: Im Kreativareal IW8 in Feuerbach darf bis mindestens 2020 Kunst und Kultur stattfinden. Sevil Özlük ist die treibende Kraft hinter dem Projekt, mit dem sie einen ganzen Stadtteil weiterentwickeln möchte.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Sevil Özlük empfängt ihren Gast in einem schicken, kleinen Besprechungszimmer am äußersten Ende des Kreativzentrums Im Werk 8 (IW8) in Feuerbach. Auf dem Tisch richtet ein Strauß Tulpen herzliche Grüße des herannahenden Frühlings aus. An der Wand hängt ein Bild von der Eröffnung des Kreativzentrums, Özlük schnibbelt neben Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) ein Band durch. Neben den Tulpen stehen „die Leckereien des Investors“ (Özlük), Backwaren von Halil Selvi und seiner Bäckerei, ohne den es das IW8 nicht geben würde.

 

Die Geschichte von Sevil Özlük steht für ein Stuttgart, das viele so nicht kennen. Angefangen bei Details, bei der Art und Weise, wie Özlük das Wort „Investor“ ausspricht, bis hin zu einem größeren Bild, zur Lebensgeschichte von Sevil Özlük.

Özlük kommt aus der Strategieberatung

Beginnen wir mit den Details. In der Stuttgarter Innenstadt ist der Begriff Investor meist negativ konnotiert, er wird abfällig ausgesprochen, im Subtext schwingen immer Großprojekte wie Gerber, Milaneo oder ein „kafkaeskes Bankenviertel“ (Fritz Kuhn) mit. Wenn Sevil Özlük in Feuerbach Investor sagt, klingt das eher nach Aufbruch. „Mein Investor führt in Feuerbach nichts Böses im Schilde, im Gegenteil, er will dem Stadtteil, dem er viel zu verdanken hat, etwas zurückgeben“, sagt Özlük. Halil Selvi war mit seiner Bäckerei 1997 von Wangen nach Feuerbach gezogen, hat seine Gastronomie stetig vergrößert und jetzt das IW8 initiiert, weil er dort auf etwa 850 Quadratmeter seine Patisserie-Produktion erweitern wird. Daneben wünscht er sich ein Kreativzentrum mit unterschiedlichsten Nutzern, das die junge, zierlich wirkende Özlük für ihn realisieren soll.

Özlük betreibt eine Agentur für Strategieberatung, hat für die Messe München, für Porsche und andere große Spieler Projekte verwirklicht, die den Umfang des IW8 bei weitem übersteigen. Dennoch ist das Im Werk 8 ihr Herzensprojekt, wie sie sagt. „Ich will aber auch nicht, dass man mich damit in die Integrations- oder Beruflich-erfolgreiche-Türken-Ecke drängt“, sagt Özlük mit Nachdruck.

Trotz guter Angebote aus der Türkei: ihre Heimat ist „hier“

Das lässt sich aber nicht ganz vermeiden, womit wir bei der Biografie wären, die einen Teil des Ehrgeizes erklärt, den Özlük an den Tag legt. Die 37-Jährige ist mit ihren vier Geschwistern in Denkendorf aufgewachsen. Die Eltern arbeiten hart, um sich in einer besseren Ecke eine größere Wohnung leisten zu können. Sevil ist das erste türkische Mädchen, das mit ins Schullandheim darf. Die Freunde ihrer Kindheit heißen eher Claudius als Mehmet. „Ich musste zu den Elternabenden meiner kleinen Schwester, weil unsere Eltern so viel gearbeitet haben. Deshalb war ich gezwungen, früh erwachsen zu werden.“ Und zielstrebig: von der Realschule aus wechselt sie aufs Gymnasium, danach studiert sie BWL mit Schwerpunkt Kommunikation. Die gehört heute zu ihren Stärken: Özlük feuert rund 200 Sätze in der Minute heraus und spricht ihren Gegenüber öfter mit Namen an. Das soll Vertrautheit herstellen.

Sevil Özlük ist Teil einer neuen, gut ausgebildeten Generation jener Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund, die in der Türkei hoch im Kurs stehen. Headhunter versuchen, die mehrsprachigen Hochschulabsolventen für große Firmen in der Türkei abzuwerben. Auch Sevil Özlük hat solche Angebote bekommen. „Meine Heimat ist aber hier“, sagt sie, wieder einmal mit Bestimmtheit. Früher habe sie sich ausschließlich als Deutsche gesehen. Dass sie sich überhaupt mit ihrer Herkunft auseinandergesetzt hat, ist ihrem Sohn geschuldet. „Musti hat mich gefragt, warum er so heißt, ob wir Deutsche oder Türken sind. Als er drei Jahre alt war, hat er die anderen türkischen Kinder im Kindergarten nicht verstanden, weil er nur Deutsch gesprochen hat.“

Eingeklemmt zwischen Schuster und Mappus

So beginnt Sevil Özlük im Grunde erst wegen ihres Sohnes Mustafa, sich mit ihrer eigenen Identität auseinanderzusetzen. 2011 erzählt sie in dem Buch „Mitten in Deutschland“ ihre Geschichte. Die Politik beginnt, sich für Özlük zu interessieren. Sie wird zum Neujahrsempfang der Landesregierung nach Brüssel eingeladen. „Im Flieger war ich eingeklemmt zwischen Wolfgang Schuster und Stefan Mappus, beide haben abwechselnd auf mich eingeredet.“

Die beiden Politiker sind aus unterschiedlichen Gründen Vergangenheit, das Kreativareal Im Werk 8 ist mit seiner Macherin Özlük dagegen Zukunft. Das IW8 ist deshalb ein Herzensprojekt für sie geworden, weil sie mit dem Kreativzentrum das ganze Viertel entwickeln möchte. „Der Rest des Stadtteils schaut auf uns. Jetzt traut sich auch die Moschee mehr zu, wirbt selbstbewusster für einen Neubau.“

Das IW8 ist Teil der Kulturnacht Feuerbach

Nachdem die Stadt die Betriebserlaubnis für das Kulturzentrum bis zum 31. Dezember 2020 erteilt hat, prüft die Verwaltung derzeit den Bauantrag des Teams um Özlük. Die hat große Pläne mit dem IW8: „Ich möchte die freie Tanz- und Theater-Szene bei uns unterbringen“, sagt sie. „Wir könnten eine ganze Halle als Probebühne und für Aufführungen zur Verfügung stellen.“ Das IW8 sei ein Beleg dafür, dass in Stuttgart sehr wohl etwas in Sachen Off-Kultur vorangehe. „Die Stadt braucht mehr Wagenhallen und Wizemanns“, sagt sie in Anspielung auf die anderen Spielstätten, die derzeit für Schlagzeilen sorgen. „Wenn ich mich mit Headhuntern unterhalte, jammern die noch immer, dass sie Schwierigkeiten haben, gutes Personal von Stuttgart zu überzeugen. Die kulturellen Angebote reichen nicht aus.“ Vielleicht hat Sevil Özlük ja wirklich recht: Sie auf die erfolgreiche Migrantin zu reduzieren, wird ihr nicht gerecht. Hier will eine etwas bewegen. Die Herkunft wird angesichts solch großer Pläne dabei ganz nebensächlich.