Sex im Film Das Ende von Lust und Leidenschaft
Kinofilme zeigen aktuell deutlich weniger Sex als früher, dafür aber wieder mehr Gewalt. Auch in deutschen TV-Produktionen ist die Zahl der Sexszenen deutlich zurückgegangen.
Kinofilme zeigen aktuell deutlich weniger Sex als früher, dafür aber wieder mehr Gewalt. Auch in deutschen TV-Produktionen ist die Zahl der Sexszenen deutlich zurückgegangen.
James Bond fackelte nicht lange, weder bei seinen Gegnern noch bei seinen Bettbekanntschaften. Wenn er eine Gespielin wollte, nahm er sie sich.
Das war in den 60er Jahren ganz normal, zumindest im Kino: Zunächst sträubten sich die Frauen, dann gaben sie sich willig hin; immerhin sah der Geheimagent wie Sean Connery aus. Niemand fand das anstößig; trotzdem kamen diese Szenen aus heutiger Sicht einer Vergewaltigung gleich.
Der Dokumentarfilm „Brainwashed – Sexismus im Kino“ (2022, abrufbar bei Amazon Prime) enthält viele solcher Szenen. Nina Menkes erzählt darin die Geschichte des von Männern geprägten Kinos. Typisch dafür ist ein Kameraschwenk, der bei den Füßen einer möglichst spärlich bekleideten Frau beginnt und dann langsam den Körper entlang wandert. Sehr verbreitet ist auch die Detailansicht von Po oder Busen. Diese Art der Darstellung war im Mainstream-Kino den Frauen vorbehalten. Bei Männerkörpern hätte ein Großteil der männlichen Zuschauer solche Blicke vermutlich als „schwul“ empfunden.
Sex im Film ist so alt wie das Kino. Weil sich die Zeiten ändern, war die Darstellung von Lust und Begehren ständigen Veränderungen unterworfen. Im Amerika der 50er Jahre zum Beispiel durften Leinwandküsse nicht länger als vier Sekunden dauern. In den lockeren 70ern wandelte sich das grundlegend. Zwischenzeitlich machte die erotisierende Darstellung weiblicher Körper nicht mal vor Kindern halt. Nacktaufnahmen einer Zwölfjährigen wie von Brooke Shields in Louis Malles „Lolita“-Variation „Pretty Baby“ (1978) sind schon länger undenkbar. Allerdings klagte Sarah Kim Gries (35) kürzlich auf ihrem TikTok-Kanal, sie sei vor gut zwanzig Jahren als damals ebenfalls zwölfjährige Darstellerin der weiblichen Hauptrolle Vanessa in der Filmreihe „Die wilden Kerle“ (2003 bis 2008) sexualisiert worden.
Die Arte-Dokumentation „Prüdes Hollywood“ (am 9. April um 22.20 Uhr) beschreibt eine gegenteilige Entwicklung. Der Titelzusatz lautet zwar „Laster, Lust und Leidenschaft im Film“, doch Autorin Viola Löffler behauptet, das Mainstream-Kino werde „immer verklemmter.“ Die zitierten Statistiken scheinen das zu bestätigen: In den 250 erfolgreichsten Filmen der letzten gut zwanzig Jahre sind Sexszenen angeblich um 20 Prozent zurückgegangen. Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger bestätigt den Eindruck: weniger Sex, mehr Gewalt. Die Frage, welche Rückschlüsse sich von dieser Erkenntnis auf die Gesellschaft ziehen lassen, beantwortet der Film leider nicht.
Die Freizügigkeit der 70er oder die größere Sensibilität der letzten Jahre gegenüber Personen, die irgendwie anders sind, konnten ohnehin nicht kaschieren, dass die USA im Grunde ein vom Puritanismus geprägtes Land sind. Kein Kinotrend hat das stärker verdeutlicht als die Erotikthriller der 90er Jahre (laut Löffler 500 an der Zahl). In Filmen wie Paul Verhoevens „Basic Instinct“ (1992), dem Klassiker des Genres, wurde das männliche Begehren prompt bestraft. Auf geradezu perfide Weise verkehrten diese Produktionen die weibliche Emanzipation in ihr Gegenteil: Von selbstbestimmten, sexuell aktiven Frauen ging tödliche Gefahr aus.
Im Zentrum von Löfflers Dokumentation steht die Arbeit von Ita O’Brien. Die ehemalige Tänzerin ist gewissermaßen die Erfinderin eines neuen Berufszweigs der Filmbranche: Intimitätskoordinatorinnen (in der Tat meist weiblich) achten darauf, dass sich alle Beteiligten bei Liebes- und Nacktszenen wohlfühlen. Früher, erzählt sie in einem Interview mit dem Arte-Magazin, seien solche Momente „der Elefant im Raum“ gewesen: „Alle wussten, dass sie kommen würden, aber niemand sprach darüber.“ Auch die Regisseure hätten sich nicht gerade auf diese Drehtage gefreut.
Neben dem Verzicht auf die inhaltlich zwar völlig irrelevanten, aber dennoch obligaten Aufnahmen von Hauptdarstellerinnen beim Duschen ist die Einführung von „Intimacy Coaches“ zweifellos das deutlichste Zeichen dafür, dass sich seit der „MeToo“-Bewegung rund um die Beschuldigungen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein wegen sexueller Übergriffe (2017) etwas geändert hat.
Nacktszenen werden laut O’Brien mittlerweile ähnlich sorgfältig vorbereitet wie riskante Stunts. In der Zeit vor „MeToo“ hätten Schauspielerinnen große Angst gehabt zu sagen: „Ich möchte mein Oberteil nicht ausziehen.“ Wer sich weigerte, „galt als schwierig oder unprofessionell.“ Das berüchtigtste Fehlverhalten in dieser Hinsicht waren die Dreharbeiten zu Bernardo Bertoluccis Skandalfilm „Der letzte Tango in Paris“ (1972) mit Marlon Brando: Hauptdarstellerin Maria Schneider hatte erst unmittelbar vor dem Dreh einer Vergewaltigungsszene von einer Änderung des Skripts erfahren. Die Französin, damals nicht mal zwanzig, traute sich nicht zu protestieren.
Sharon Stone wurde bei „Basic Instinct“ auf ähnliche Weise überrumpelt. Als sie die berühmte Szene, in der sie in ihrer Rolle während einer Befragung durch Polizisten die Beine übereinander schlägt, das erste Mal im Kino sah, war sie schockiert: Verhoeven hatte sie unter Hinweis auf einen technischen Vorwand überredet, ihren Slip auszuziehen und ihr versichert, im fertigen Film werde nicht zu erkennen sein, dass sie keine Unterwäsche trage.
In den Eigenproduktionen fürs deutsche Fernsehen ist die Zahl der Sexszenen im Vergleich zu früheren Jahren ebenfalls deutlich zurückgegangen. Umso ungewöhnlicher ist ein Film, den das ZDF im Rahmen seines zuverlässig züchtigen „Herzkino“ zeigt: In „Verhängnisvolle Leidenschaft – Sylt“ (am 13. April um 20.15 Uhr im „Zweiten“, bereits jetzt in der ZDF-Mediathek) spielt Cornelia Gröschel eine Frau, die sich eine Auszeit von der Ehe nimmt und auf eine Affäre einlässt. Im Vergleich zu den romantischen Dramen aus Reihen wie „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“, die diesen Sendeplatz sonst dominieren, ist der Film tatsächlich verblüffend sexy.
Ohne Intimitätskoordination hätte sich Gröschel jedoch nicht darauf eingelassen. Die entsprechenden Szenen seien vor Drehbeginn im Detail besprochen worden: „Dieses Wissen hat mir die Angst genommen, dass etwas stattfinden könnte, womit ich nicht einverstanden gewesen wäre.“