Viele Frauen schweigen zu Belästigungen am Arbeitsplatz. Das ändert sich nun endlich, sagt Christine Lüders, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes leitet.

Berlin - Viele schweigen zu Übergriffen am Arbeitsplatz. Das ändert sich jetzt endlich, meint Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

 

Frau Lüders, seit die Öffentlichkeit über Sexismus im Arbeitsalltag diskutiert, melden sich plötzlich täglich mehrere Betroffene bei Ihrer Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sind das überwiegend Bagatellen oder ernste Fälle?
Es handelt sich ausnahmslos um Fälle von massiver sexueller Belästigung. Durch den Chef, der zur Mitarbeiterin immer sagt: „Setz dich mir gegenüber, dann kann ich deine Brüste besser sehen.“ Durch den Arzt, der sich darin ergötzt, den Körper der Krankenschwester in allen Details zu beschreiben. Durch mehrere Kollegen, die eine Frau immer im Aufzug abpassen und sie bedrängen, sie solle sich nicht so anstellen und küssen lassen.

Viele Männer argumentieren, sie würden doch lediglich ein Kompliment aussprechen.
Das ist absoluter Unsinn. Ich bin mir sicher, dass jeder Mann ganz genau weiß, wann er eine Frau belästigt und wann nicht. Unerwünscht und unerlaubt sind alle Handlungen, die die Würde des Gegenübers verletzen. Die Grenzen kennt jeder. Der Rechtsschutz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist in dieser Hinsicht absolut ausreichend. Die Sanktionen beginnen bei Abmahnungen und führen bis hin zu Kündigungen. Das Problem ist nur, dass sich viele Frauen aus Angst um ihren Job nicht trauen, die Möglichkeiten auszuschöpfen.

Wie kommt man aus dieser Zwickmühle heraus?
Ich empfehle, sich diese Anzüglichkeiten in einem ersten Schritt klar zu verbitten und den Kollegen auf die Konsequenzen hinzuweisen. Außerdem sollte man über die Vorfälle mit Kolleginnen sprechen. Meist sind mehrere von den Übergriffen betroffen. Wichtig sind auch ein persönliches Gedächtnisprotokoll und Zeugen. Sobald man auf diese Weise gerüstet den Arbeitgeber informiert, ist dieser verpflichtet zu reagieren. Tut er es nicht, sollte man sich sofort an eine Beschwerdestelle wie die unsere wenden. Ich weiß von vielen erfolgreichen Klagen.

Ist die Sexismus-Debatte über den FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle Ihrem Anliegen zuträglich – oder besteht jetzt die Gefahr, dass es als allgemeine Hysterie lächerlich gemacht wird?
Ich bin froh um jede Frau, die sich wehrt, weil wir sie als Vorbild brauchen, um anderen Mut zu machen. Wenn in den Medien darüber so stark diskutiert wird und viele von ihren Erfahrungen berichten, entsteht ein wichtiges Solidaritätsgefühl.

Problematisch ist das Abhängigkeitsverhältnis am Arbeitsplatz. Sehen Sie eine Verbesserung dadurch, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen?
Ich glaube tatsächlich, dass durch die andere Macht- und Rollenverteilung in den Unternehmen langfristig ein respektvoller Umgang miteinander selbstverständlicher wird.