Stuttgart - Mitten in seinem Vortrag wird Karl-Heinz Schmid plötzlich laut. „Fassen Sie mich nicht an“, brüllt der Kriminalhauptkommissar in den Saal: „Stopp, was soll das!?“ Die Zuhörer im katholischen Gemeindezentrum von Bad Krozingen zucken kurz zusammen, doch die Botschaft des Präventionsexperten vom Polizeipräsidium im nahen Freiburg verstehen sie sofort. Wer als Frau im öffentlichen Raum bedrängt wird, muss auf sich aufmerksam machen – auf dass andere eingreifen können. „Ihr Männer, geht hin und helft“, appelliert Schmid an seine Geschlechtsgenossen.
Das Publikum besteht an diesem Oktoberabend zu mindestens zwei Dritteln aus Frauen, vielen älteren, aber auch einigen jüngeren. Erst vor einem halben Jahr hat die Polizei am gleichen Ort Tipps gegen sexuelle Übergriffe gegeben, doch der große Saal ist erneut voll geworden. Die Sorge um die „Sicherheit im öffentlichen Raum“ – so das bewusst neutral gehaltene Thema – beschäftigt die 20 000 Einwohner zählende Kurstadt zwischen Schwarzwald und Rheinebene noch immer, vielleicht sogar mehr denn je.
Zwei Gambier zu Haft verurteilt
Begonnen hat alles mit einer Reihe von Vorfällen im Kurpark, einem ausgedehnten Landschaftsgarten mit großen alten Bäumen rund um das Flüsschen Neumagen. Im Jahr 2016 wurden dort eine 55-jährige Frau und ein mögliches weiteres Opfer vergewaltigt. Später kam es zu sexuellen Belästigungen unterschiedlicher Schwere. Zwei junge Frauen etwa wurden laut Polizeibericht von einem Mann mit „schwarzafrikanischem Aussehen“ massiv bedrängt und unsittlich berührt; erst ein hinzukommender Passant verscheuchte ihn. Die Ermittlungen führten auch in ein örtliches Asylbewerberheim. Zwei junge Flüchtlinge aus Gambia wurden inzwischen als Täter verurteilt – der eine zu fünf Jahren Haft, der andere zu knapp anderthalb. Noch ungeklärt ist der Fall einer jungen Frau, die sich am Bahnhof von vier dunkelhäutigen Männern verfolgt und durch anzügliche Bemerkungen bedroht fühlte. In mindestens einem weiteren Fall soll sich die Betroffene aus Scham nicht zur Polizei getraut haben.
Im August wurde Bad Krozingen dann von einem neuen, schweren Verbrechen erschüttert. Es geschah sonntagabends, mitten in der Innenstadt an einer Brücke über den Neumagen. Ein Unbekannter fragte eine 63-jährige Passantin zuerst nach dem Weg, drängte sie dann in einen schlecht einsehbaren Bereich ab und verging sich dort an ihr. Die Täterbeschreibung der Polizei: 30 bis 40 Jahre alt, „dunkler Teint (aber nicht schwarz)“, Warze oder Narbe auf der Wange, „sehr schlechtes/gebrochenes Deutsch“. Es gehe um „absolute Schwerstkriminalität“, sagt der Polizist Schmid beim Infoabend, die Ermittlungen liefen noch. Eine heiße Spur fehlt bislang.
Resonanz auf rechten Online-Foren
„Zutiefst erschüttert“ äußerte sich auch der Bad Krozinger Bürgermeister Volker Kieber, aber „zugleich verärgert“. In allen Bemühungen, das lädierte Sicherheitsgefühl der Bürger wieder zu verbessern, sah sich die Stadt jäh zurückgeworfen. Die regionalen Medien berichteten zwar betont sachlich über den Vorfall, aus Sicht mancher Leserinnen sogar zu zurückhaltend. Selbst eine Vernissage scheine der Lokalzeitung wichtiger zu sein, beschwerte sich eine Krozingerin; eine andere mahnte, nach der „erschreckenden Nachricht“ dürfe man nicht zur Tagesordnung übergehen. Im Internet aber schlugen die Wogen hoch. Der AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen postete die „nächste Vergewaltigung durch einen offensichtlich ausländischen Täter“ gleich auf Facebook. Sein Fazit: „Zeit für die AfD!“ Auf rechten Online-Foren war von einer „Vergewaltigungs-Epidemie“ in Bad Krozingen die Rede und von „Merkels Import teils archaischer Wilder, die keinerlei Respekt vor Frauen haben“. Ähnlich klang es in manchen Briefen an den Bürgermeister – teils offen, teils anonym.
Von einer Serie in Bad Krozingen will man beim Polizeipräsidium in Freiburg nicht sprechen, wohl aber von einer „gewissen Häufung“. Sexualdelikte berührten die Bürger stets ganz besonders, weiß Schmid. Zwei Fälle aus der Region seien auch den Kurstädtern noch höchst präsent: die Sexualmorde an der Studentin Maria in Freiburg und an einer Joggerin am Kaiserstuhl. Die Täter: ein afghanischer Flüchtling und ein rumänischer Lastwagenfahrer. Flüchtlinge seien in der Regel „jung und männlich“, erläutert der Hauptkommissar im Gemeindesaal – und gehörten damit zu einer Gruppe, die bei bestimmten Delikten überrepräsentiert sei. „Gewalt ist männlich, das muss ich leider sagen.“ Eine „mitgebrachte Macho-Kultur“, fehlende soziale Kontrolle sowie Frust und Perspektivlosigkeit könnten die Taten begünstigen. Und gerade bei Gambiern sehe es mit dem Bleiberecht schlecht aus.
Stadt reagiert mit Doppelstrategie
Für Bad Krozingen sind die Fälle besonders bitter, weil sich die Kurstadt stark um Integration bemüht. Mehr als 400 Flüchtlinge beherbergte sie in der Zeit des größten Andrangs, 270 sind es heute noch. Im Helferkreis engagierten sich einst etwa 300 Bürger, ein Kern von 30 bis 40 ist immer noch aktiv. „Zusammen sind wir Heimat“, lautete das Motto eines Aktionstages, der im September zum zweiten Mal stattfand. Seite an Seite trafen sich Einheimische und Geflüchtete da zu Kaffee und Kuchen.
Den Sexualdelikten begegnet die Stadt mit einer Art Doppelstrategie: Sie verstärkt die Bemühungen zur Integration, aber auch die Sicherheitsmaßnahmen. Seit Jahresbeginn kümmern sich zwei Integrationsmanagerinnen intensiv um die Flüchtlinge in der „Anschlussunterbringung“. Sie helfen ihnen, Deutsch zu lernen, mit Behörden klarzukommen, Arbeit und Wohnung zu finden. Im Frühsommer offerierte die Stadt gemeinsam mit Pro Familia einen Workshop speziell für Männer. Es ging um das Verhältnis der Geschlechter, um Normen und Werte, um Gleichberechtigung und die ganz praktische Frage: „Wie flirte ich in Deutschland?“ Die Resonanz war eher verhalten. Mit dieser Form der Ansprache, erkannte man, tun sich viele schwer. Geringer soll die Hürde sein, wenn die Volkshochschule Anfang 2019 vertiefende Kurse in Rechtskunde anbietet. Als Referentin, hieß es stolz, habe man eine Staatsanwältin aus Freiburg gewonnen.
Selbst der Bürgermeister ist vorsichtig
Die VHS kommt auch beim Thema Sicherheit ins Spiel: Frauen und Senioren können den nächsten Kurs in Selbstverteidigung – Krav Maga heißt die als sehr effektiv gelobte Methode – kostenfrei belegen. Gerade nochmals verlängert hat die Stadt den Vertrag mit dem Ordnungsdienst, der in den Abendstunden im Kurpark patrouilliert. Sicherheit ist eigentlich Aufgabe der Polizei, und die hat die Streifen in Krozingen ebenfalls intensiviert. „Wir sind rund um die Uhr für Sie da“, versichert der zuständige Revierleiter aus dem Nachbarort Müllheim unter Beifall; den Wunsch nach einem eigenen Revier hat das Innenministerium bisher überhört. Unterführungen zwischen Stadt und Kurpark sind jetzt videoüberwacht, auch die Beleuchtung im Park wird verbessert: An einer ausgewählten Route soll die Zahl der Lampen verdoppelt werden. Zudem wird geprüft, ob der ehrenamtlich betriebene Bürgerbus künftig auch nach Abendveranstaltungen im Kurhaus fahren könnte, weil vielen auf dem Heimweg mulmig ist.
Selbst Bürgermeister Kieber ist vorsichtig geworden. Früher, erzählt er beim Infoabend, sei morgens seine Frau mit dem Hund rausgegangen. Seit es da noch dunkel sei, übernehme er das lieber selbst.