Sexualität und Behinderung Menschen mit Handicap tun sich oft schwer bei der Partnersuche

Insel e.V. bietet in Ludwigsburg regelmäßig Treffen, bei denen Menschen mit Behinderung Kontakte knüpfen können. Foto: Simon Granville

Auf der Suche nach der Liebe und beim Ausleben ihrer Sexualität tun sich Menschen mit Behinderung häufig schwer. Woran liegt das? Zu Besuch bei einem Speed-Dating-Event in Ludwigsburg.

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Beim Thema Liebe und Sex stoßen Menschen mit Behinderung häufig auf Abneigung oder Scham. Vieles ist nach wie vor noch behaftet mit Vorurteilen. Ein gängiges lautet: Entweder haben Menschen mit Behinderung gar keine Sexualität, oder sie sind übermäßig sexuell.

 

„Das ist Quatsch“, sagt Madeleine Birkle. „Menschen mit Handicap haben dieselben Bedürfnisse wie alle anderen Menschen auch: Nähe, Geborgenheit, Intimität, Zärtlichkeit.“ Die 35-Jährige ist Heilerziehungspflegerin in Ludwigsburg und organisiert für den Verein Insel e.V. regelmäßig Speed-Datings für Menschen mit und ohne Behinderung in der ganzen Region Stuttgart. Dort können die Teilnehmer neue Freunde finden – oder eben auch die ganz große Liebe. Die Einrichtung kooperiert dazu mit der Caritas, der Diakonie, der Lebenshilfe und weiteren. Das Angebot sei sehr gefragt, sagt Birkle.

Frauen sind oft unsicher

Murat Y. ist an diesem Samstagnachmittag ins Café nach Ludwigsburg gekommen. Seinen kompletten Namen will er nicht in der Zeitung lesen, aber wie das so ist mit der Liebe, wenn man im Rollstuhl sitzt, dazu äußert er sich gerne. Auch wenn er sonst eher schüchtern sei. Aber wer offenbart sich schon gerne einem Wildfremden. „Ich brauche oft jemand, der mich ein bisschen ermutigt“, sagt der 42-Jährige. Es sei für ihn nicht einfach, jemanden auf der Straße anzusprechen – dabei spiele seine Schüchternheit eine untergeordnete Rolle. Der Rollstuhl eine größere. Frauen seien ihm gegenüber oft abweisend, sagt Murat. „Viele sind unsicher. Die wollen gar nichts von mir wissen.“ Dabei hätte Murat gerne eine Freundin. Dass seine Einschränkung in einer Beziehung eine Rolle spielen würde, weiß er wohl. „Ich wünsche mir schon jemand, der Rücksicht nimmt“, sagt er, nach der Arbeit sei er öfters erschöpft. „Aber ich kann auch vieles selbst im Alltag.“ Murat Y. arbeitet bei der Habila in Markgröningen, er ist glühender Anhänger des VfB Stuttgart, auch sonst hat er ganz normale Hobbys: er surft gerne im Netz, schreibt gerne Texte, schaut gerne Filme. Nur eine Freundin fehlt zu seinem Glück.

So gehe es vielen Menschen mit Behinderung, sagt Madeleine Birkle. Die Hemmschwellen bei vielen ohne Einschränkungen, mit Menschen mit Behinderung in Kontakt zu treten, seien bei vielen immer noch hoch. „Da gibt es schlimme Vorurteile. Oft denken die Leute: Der kann nix, der sabbert nur.“ Und es geht noch schlimmer. Im Internet lauerten gar Betrüger, die die Menschen mit Behinderung regelrecht ausnutzen, zu Gewalt und „Grenzverletzungen“ komme es ebenfalls, so Birkle. Auch wenn sich schon vieles zum Besseren gewandelt habe, „Rollstuhlfahrer werden immer noch anders angeschaut“, so Birkle, „das ist eine gesamtgesellschaftliche Sichtweise.“ Bei rund acht Millionen Menschen hierzulande, die körperbehindert sind, eigentlich verwunderlich.

Eltern wollen nicht, dass Kinder sexuell aktiv sind

Der Umgang mit Sexualität ist selbst für Birkle und ihre Kollegen, die tagtäglich mit diesen Menschen zu tun haben, nicht einfach: Was bedeutet Sex überhaupt für einen Menschen mit Behinderung? Was für einen Partner wünscht sie oder er sich? Die Prägungen, Wünsche und Neigungen sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich – unabhängig von einer Behinderung. Um sich diesen Fragen zu nähern brauche es viel Fingerspitzengefühl und eine persönliche Beziehung. Insbesondere wenn die Person sich lediglich eingeschränkt oder gar nicht ausdrücken kann.

Bisweilen sind auch diejenigen irritiert von der Sexualität behinderter Menschen, für die es eigentlich kein Thema sein sollte: Eltern und andere Angehörige. „Das wird dann tatsächlich ein Stück weit unterbunden“, sagt Birkle. Dabei bleiben auch Streitereien mit Betreuern nicht aus. Vor allem die Jüngeren, mit denen Birkle arbeitet, seien jedoch zum großen Teil sehr selbstbewusst und selbstbestimmt. „Die wollen eine eigene Wohnung, ein eigenes Sozialumfeld und eben eine Partnerschaft.“

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