Luisa N. aus Marbach (Kreis Ludwigsburg) sieht sich im Zug und am Bahnhof in Bietigheim-Bissingen einem Mann ausgeliefert. Ihre Reise endet mit einer schweren Verletzung.

Ludwigsburg: Oliver von Schaewen (ole)

Luisa N. wirkt gefasst, aber die Erinnerung setzt ihr immer noch zu. „Ich möchte mich nicht verkriechen und alles in mich hineinfressen.“ Mit Tränen in den Augen erzählt die 49-Jährige von dem schlimmen Übergriff, den sie vor wenigen Wochen erlebte und an dessen Folgen sie immer noch laboriert. „Ich will erreichen, dass Frauen besser geschützt werden“, sagt sie und berichtet von ihrer Zugreise, die mit einer schweren Verletzung endete.

 

Es war ein dunkler Sonntagmorgen gegen 6 Uhr Anfang Februar. Luisa N. steht am entlegenen Bahnhof in Vaihingen/Enz. Nach dem Besuch bei einer Freundin in Kleinglattbach steigt sie in den Metropolexpress (MEX), der sie zunächst nach Bietigheim-Bissingen bringen soll. Ein Mann steigt mit ihr ein und setzt sich im ansonsten menschenleeren Zug direkt neben sie.

Luisa N. geht nicht mehr ohne Pfefferspray auf die Straße. Foto: Oliver von Schaewen

Die Begegnung wird unangenehm. „Er stank nach Marihuana und Alkohol und wollte meine Telefonnummer“, erzählt Luisa N., die die plumpe Anmache zunächst zu ignorieren versucht. „Er hatte dunkle Haare und Augen und redete in gebrochenem Deutsch. Er war etwa Mitte 30, hatte einen Bart und trug einen hellgrauen Kapuzenpulli“, so schildert es Luisa N.. Sie bekommt Angst, steht auf und setzt sich auf einen anderen Platz. Der Mann folgt ihr.

Die Fahrt über Sersheim und Sachsenheim nach Bietigheim kommt Luisa N. vor wie eine Ewigkeit. Der Mann bedrängt sie weiter. Endlich hält die Regionalbahn am Zielort. Am Bahnsteig lässt der Verfolger aber noch immer nicht locker, zieht an ihrem Einkaufsrollator, fordert erneut: „Gib mir deine Telefonnummer.“ Luisa N., zusätzlich mit Tasche und Rucksack beladen, hält im Gerangel den Rollator fest. Plötzlich lässt der Angreifer los – sein Opfer stürzt die Treppe hinunter.

Die nächsten Minuten erlebt Luisa N. nach eigenem Bekunden wie durch einen Schleier. Der Mann sei auf sie zugekommen, sie habe sich nicht bewegen können. „Dann kam von der anderen Seite ein Typ – zu dem hat er gerufen: ,Die können wir haben!’“ Luisa N., deren Schilderungen klar und authentisch wirken, würde am liebsten weglaufen. Kann aber nicht. Plötzlich hört sie die kreischende Stimme einer jungen Frau: „Hey, was soll das? Hilfe, Hilfe, Polizei!“ Die Männer verschwinden, wenig später tauchen Polizisten auf, hören sich die Aussagen an. Luisa N. blutet später aus der Nase, verspürt einen Brechreiz.

Nach einigen Tagen informiert Luisas Freundin aus Kleinglattbach unsere Redaktion über den Vorfall. Eine Nachfrage bei der Polizei ergibt: Es wurde kein solcher Fall zur Anzeige gebracht. „Es war mein Fehler“, entschuldigt sich Luisa N.. Sie habe gedacht, dass die junge Frau mit ihrer Aussage automatisch auch eine Anzeige in Gang gebracht habe. Sie sei durcheinander gewesen, habe nach dem Vorfall viel geschlafen. Luisa N. holt die Anzeige nach.

Die Polizei bestätigt den Eingang. Es werde ermittelt, teilt die zuständige Bundespolizei in Stuttgart mit. Weil die Anzeige spät erfolgt sei, und die Speicherzeit der Kameras in der Bahn und auf dem Bahnsteig überschritten wurde, lägen keine Aufzeichnungen vor. An der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestünden derzeit jedoch keine Zweifel, heißt es ausdrücklich. Über die Anzahl sexueller Belästigungen in Zügen und deren Aufklärungsquote konnte die Bundespolizei auf Anfrage bislang keine Angaben machen.

Luisa N. ist nach dem Sturz immer noch in ärztlicher Behandlung

Der Arzt habe ihre Kopfverletzung untersucht, berichtet die Marbacherin, die derzeit eine Ausbildung als Lagerlogistikerin absolviert. „Im Gehirn ist Wasser. Der Arzt sagt, es könnte bis zum Herzen vordringen.“ Den Kopf punktieren zu lassen, scheue sie, erzählt Luisa N., die vor 24 Jahren nach Marbach kam und mit ihrer 18-jährigen Tochter in einer Wohnung lebt. Nun warte sie ihren weiteren gesundheitlichen Zustand und die Ermittlungen ab.

Luisa N. ist verstört. Sexuelle Belästigungen in der Öffentlichkeit nehmen zu, beobachtet die gebürtige Brasilianerin. Sie selbst sei bereits zuvor zweimal von Migranten auf offener Straße angepöbelt worden: einmal am Marbacher, ein andermal am Ludwigsburger Bahnhof, als sie zwei dunkelhäutige Menschen auf Englisch ansprachen, einer habe ihr ins Haar fassen wollen. „Man ist als Frau nicht mehr sicher – früher bin ich noch abends in den Supermarkt gegangen: Das ist jetzt nicht mehr möglich“, meint sie.

Nur noch mit Pfefferspray in der Handtasche unterwegs

Für Luisa N., die wegen ihrer Heirat nach Deutschland kam, hängen die Veränderungen mit den Begleitumständen der Migration zusammen. Sie, die inzwischen nur noch mit Pfefferspray in der Tasche das Haus verlässt, hat auch Angst um ihre Tochter, die mit der Bahn zur Schule nach Backnang fährt.

Die für den Bahnbereich zuständige Bundespolizei Stuttgart berichtet von 22 angezeigten Fällen sexueller Belästigung im Jahr 2023. Von diesen Fällen seien 17 aufgeklärt worden. Der Anteil von Tatverdächtigen ohne deutsche Staatsangehörigkeit liege mit elf Personen bei 73,3 Prozent. Als Vergleichszahl beziffert die Bundespolizei den Anteil der Tatverdächtigen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit an allen von ihr erfassten Straftaten mit 79,9 Prozent. „Darunter fallen aber auch ausländerrechtliche Delikte wie unerlaubte Einreise oder Aufenthalt“, erklärt ein Sprecher. Ziehe man diese Delikte ab, ergebe sich ein Anteil von 66,1 Prozent.

Mehr Sicherheit für Frauen im Zug, aber auch in anderen Bereichen der Öffentlichkeit – das fordert Luisa N. „In anderen Ländern gibt es viel mehr Kameras. Warum ist hier der Datenschutz wichtiger als der Schutz von Menschen?“ Dass Straftäter wüssten, wo Videokameras filmten und sich dann andere Orte suchten, ist Luisa N. bewusst. Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es wahrscheinlich nie.

Für Luisa N. ist das Frauenbild der Täter ursächlich

Ob ihr der Vorfall nicht auch mit einem Deutschen hätte passieren können? Luisa N. räumt eine gewisse Wahrscheinlichkeit ein, hält jedoch die kulturellen Hintergründe der Zugewanderten trotzdem für die Hauptursache. „Diese Männer kommen aus Ländern, in denen Frauen nichts zählen.“

Brennpunkt Bietigheimer Bahnhof

Mehr Straftaten
Am Bahnhof von Bietigheim-Bissingen hatten sich im Dezember und Januar neun Fälle von Raub mit gefährlicher Körperverletzung ereignet. Die Polizei reagierte mit erhöhter Präsenz. Das geht aus dem Bericht des Revierleiters Volker Kehl im Gemeinderat hervor. Ähnliche Straftaten hatten sich im Berichtsjahr 2023 auf 19 summiert. Insgesamt ereigneten sich dort in dem Jahr 102 Straftaten.

Erhöhte Präsenz
Die Polizei bildete am 30. Dezember eine Ermittlungsgruppe und reagierte mit massiver Präsenz. Seitdem ist es nach Angaben von Kehl ruhiger geworden. Die SPD stellte im Februar den Antrag für eine Video-Überwachung am Bahnhof. Laut Kehl werden dafür derzeit Daten gesammelt. Polizei und Bereitschaftspolizei behielten die Präsenz bei.