Kinder reagieren ganz unterschiedlich auf sexualisierte Gewalt. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig kritisiert, dass vielen Erziehern und Lehrern das Wissen fehle, um Opfer zu erkennen.

Freiburg - Schockiert von der Schwere des Freiburger Falls zeigt sich Johannes-Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. „Für den Jungen muss das die Hölle auf Erden gewesen sein, das ist unvorstellbar.“ Über eine so lange Zeit missbraucht zu werden und zudem noch von der eigenen Mutter, das mache sprach- und fassungslos.

 

Leider sei die Zahl der Kinder, die in Deutschland sexuelle Gewalt erlebten, sehr hoch. „In jeder Schulklasse gibt es ein bis zwei Kinder“, sagt der unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Er fordert eine stärkere Sensibilisierung all jener, die mit Kindern zu tun haben, angefangen vom Erzieher in der Kita bis zum Lehrer. Die Initiative Kein Raum für Missbrauch gebe den Verantwortlichen Hilfestellung etwa beim Erkennen eines Missbrauchs. „Wir brauchen flächendeckend Fortbildungen und eine klare Verankerung der Thematik im Ausbildungscurriculum der Pädagogen“, sagt Rörig. Die meisten Lehrer würden ihr Studium abschließen, ohne jemals mit diesem gesellschaftlich hochrelevanten Thema konfrontiert worden zu sein.

Alarmierende Zeichen könnten schulisches Versagen oder aggressives Verhalten sein

„Missbrauchte oder traumatisierte Kinder senden keine eindeutigen Signale aus, da muss vielmehr auf Verhaltensänderungen geachtet werden“, erläutert der Experte. Alarmierende Zeichen könnten schulisches Versagen oder zunehmend aggressives Verhalten sein. „Es gibt Kinder, die waschen sich nicht mehr, weil sie dadurch verhindern wollen, dass der Täter sie weiterhin anfasst.“ Manche Opfer fingen an, zügellos zu essen und Gewicht zuzulegen, eine Art Schutzschicht, um nicht mehr verletzt zu werden.

Am häufigsten finde sexuelle Gewalt in der eigenen Familie statt sowie im Bekannten- und Freundeskreis. In 80 bis 90 Prozent der Fälle seien die Täter männlich, nur ganz selten seien weibliche Tatverdächtige beteiligt. „Nahezu jedes siebte Kind ist von sexueller Gewalt betroffen“, betont Rörig. „Je intensiver, brutaler und länger ein Kind Opfer der Gewalt wurde, umso schwieriger ist es, die lebenslange Belastung zu minimieren“, sagt der Missbrauchsbeauftragte.

Wichtig sei eine therapeutische Aufarbeitung, aber diese könne nicht in allen Fällen ausreichend angeboten werden. „Es fehlen in Deutschland gut geschulte Therapeuten, die sich auf sexualisierte Gewalt spezialisiert haben“, betont Rörig. Das sei ein Manko, das nicht auf die Schnelle behoben werden könne.