Mit der Wahrheit ist das so eine Sache, wenn zwei sich unversöhnlich gegenüberstehen und es keinen Dritten gibt, der mehr weiß. Viele Zweifel und wenige Gewissheiten: in diesem Dilemma sind Richter, bei denen solche Fälle landen. Sie können bei ihrer Beweisaufnahme das Geschehen nicht wie bei einen Videofilm zurückspulen. Wenn es an Fakten fehlt, müssen sie Indizien bewerten. Wenn es kein Geständnis gibt, müssen sie Aussagen von Zeugen nach ihrer Glaubhaftigkeit beurteilten. Dazu kann ein Gericht externe Fachleute heranziehen, muss es aber nicht. Wolfgang Vögele, der das Urteil über Janosch gesprochen hat, bringt es auf den Punkt: "Wenn wir eigene Sachkunde haben, brauchen wir keine Sachverständigen."

Vögele ist ein erfahrener Richter, der sich auch unangenehmen Fragen stellt. Zum Prozess von Jörg, dem Wettermoderator, sagt er: "Könnte die Strafkammer in Ruhe arbeiten, wäre der Prozess schon zu Ende." Hier wie dort gehe es für ein Gericht darum, Überzeugungen zu bilden. "Der juristische Beweis", sagt Vögele, "hat nichts mit dem mathematischen zu tun."

Janosch schreibtBriefe , in denen er seine Unschuld beteuert


Mit dem juristischen Beweis befasst sich seit langem auch Peter Winckler, einer der renommiertesten Kriminalpsychiater im Land. Den Megaprozess von Mannheim beobachtet er aus der Ferne. Deutschlands bekannteste Feministin im Zeugenstand, wenn auch nur kurz, Verschwörungstheorien gegen Medien, juristischer Theaterdonner: Winckler kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Beteiligten bei diesem Verfahren "in Angststarre verfallen".

Der Tübinger gilt als Spezialist für Gutachten, auch für solche über die Glaubhaftigkeit von Zeugen. "Das ist besonders heikel", sagt er. "Da geht es oft um hopp oder topp." Winckler hat Richter erlebt, die sich hinter Expertisen versteckten und hilflos wirkten im Labyrinth des Verdachts. Und er hat Fälle begleitet, die klar schienen und am Ende das Gegenteil davon waren.