An einen Prozess vor fast zehn Jahren erinnert er sich noch genau. Damals wurde ein Familienvater, der beruflich eine leitende Position hatte, von seiner 18-jährigen Tochter des sexuellen Missbrauchs bezichtigt. Das Gericht schaltete einen Sachverständigen ein, welcher die Tochter für glaubwürdig hielt. Ein zweiter Fachmann wurde befragt. Er teilte mit, dass das erste Gutachten zwar nicht gut, im Ergebnis aber richtig sei. Der Vater wurde auf dieser Grundlage zu einer Haftstrafe verurteilt. Später kam es zu einer erneuten Prüfung vor Gericht, bei der Winckler um einen Befund zu den beiden Gutachten gebeten wurde. Er zog andere Schlüsse als seine Kollegen und hielt die Aussagen des Mädchens für weniger glaubhaft. Am Ende wurde der Angeklagte freigesprochen. Ist er wirklich unschuldig? Winckler kann es nicht sagen. "Auch damit muss man leben."

Es ist schwer genug, damit zu leben. Janosch, der Lastwagenfahrer, schreibt Brief um Brief, in dem er seine Unschuld beteuert. Vielleicht tut er es wider besseres Wissen. Manchmal besucht ihn seine Frau mit dem kleinen Igor im Gefängnis. Jelena hat ihm gesagt, dass Papa nicht mehr nach Hause kommt, weil er viel arbeiten muss. Sie will nicht, dass er die Wahrheit erfährt. Wenn Igor ins Gefängnis zu seinem Vater darf, streckt er die Hände an der Pforte für den Sicherheitscheck nach oben. Der Junge glaubt, dass sein Papa einen wichtigen Job hat in diesem vergitterten Haus.

Jelena lebt mit Igor in einer Wohnung, in der ein Zimmer frei ist. Dort hat früher Maria geschlafen, die geflüchtete Tochter. Nichts erinnert mehr an sie. Die Mutter hat die Poster abgehängt und auch Marias Bilder aus dem Regal genommen. Sie liegen jetzt in einer Schublade. Jelena hat sich entschieden - für die Version ihres 14 Jahre älteren Ehemanns. Kann sie sich wirklich sicher sein? Eine Frau spüre so etwas, sagt sie, und weiß wohl, dass es viele Frauen gibt, die es eben nicht gespürt haben.

Es gibt Geschichten, denen fehlt die Auflösung


Jelena hat Angst vor dem, was kommt. Vor den fünf Jahren, die Janosch vielleicht noch sitzen muss. Im deutschen Strafrecht ist es so, dass geständige Täter nach zwei Drittel einer zu verbüßenden Strafe entlassen werden können. Wenn Janosch gestehen und im Gefängnis eine Therapie machen würde, wäre er vielleicht in zwei bis drei Jahren frei. Seine Frau hat keine Ahnung, wie es weitergeht. Sie hat eine Tochter verloren und einen Mann, dem sie vertraut, obwohl sie nicht leugnen kann, dass manches gegen ihn spricht. Wenn er zurückkommt, wird Janosch wahrscheinlich fast 60 sein. "Er bekommt in dieser Gesellschaft keine Chance mehr", sagt sie.

Maria, die Tochter, lebt weit weg, in Freiheit und doch irgendwie gefangen. Manchmal denkt sie noch an ihre Mutter, die für sie nicht mehr ist, was sie war. Maria kann nicht verstehen, dass Jelena noch immer hinter Janosch steht. "Liebe hat ihre Grenzen", sagt Maria. "Es tut mir leid für meine Mutter." Maria hat ein neues Leben begonnen, aus dem ihr altes langsam verschwindet. Sie muss noch 5000 Euro an Schulden aus Verträgen abstottern, die ihr Stiefvater in ihrem Namen abgeschlossen hatte.

Es gibt Geschichten, denen fehlt die Auflösung. Diese ist so eine. Irgendwann urteilt das Gericht über Jörg, den Wettermann. Und es wird dabei keinen Gewinner geben.