Nicht nur Kinder und Jugendliche, auch katholische Ordensfrauen wurden von Priestern und Bischöfen sexuell missbraucht. Das hat Papst Franziskus jetzt erstmals eingeräumt. Das Problem bestehe vermutlich noch immer. „Ich glaube, es wird immer noch getan.“

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Rom/Stuttgart - Papst Franziskus hat erstmals den sexuellen Missbrauch von Nonnen durch Priester und Bischöfe eingeräumt. „Es gab Priester und auch Bischöfe, die das getan haben“, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche. Erst vergangene Woche hatte ein hochrangiger Geistlicher des Vatikan sein Amt niedergelegt, weil er eine deutsche Nonne sexuell massiv bedrängt haben soll.

 

Der Missbrauch von Nonnen könne zwar „überall“ geschehen, sagte der Papst. Derartige Fälle seien aber besonders häufig in „einigen neuen Kongregationen und in einigen Regionen“. Die Kirchenspitze arbeite bereits „lange“ an dem Thema. Mehrere Geistliche seien wegen der Übergriffe suspendiert worden. Zudem seien einige besonders betroffene Frauenkongregationen aufgelöst worden.

Papst: „Sexuelle Versklavung von Frauen“

Bereits sein Vorgänger Papst Benedikt XVI. „hatte den Mut, eine Frauenkongregation aufzulösen“, sagte Franziskus weiter. In dieser habe sich „diese Versklavung von Frauen festgesetzt, eine Versklavung, die bis zur sexuellen Versklavung durch Priester und den Gründer ging.“

Franziskus bezog sich mit seiner Äußerung nach Angaben seines Sprechers Alessandro Gisotti auf die französische Kongregation der Kontemplativen Schwestern vom heiligen Johannes. Das Kirchenoberhaupt erwähnte noch eine weitere Kongregation, die sich der „sexuellen und ökonomischen Verderbnis“ schuldig gemacht habe.

Auch zu dieser habe Benedikt XVI. Untersuchungen eingeleitet. „Er war ein starker Mann. Er war konsequent“, sagte Franziskus. Die Kirche dürfe derartige Fälle nicht abstreiten, betonte der Pontifex. „Müssen wir noch mehr tun? Ja! Haben wir den Willen dazu? Ja!“

Verschweigen des sexuellen Missbrauchs von Ordensfrauen

Zuletzt hatten sich Vorwürfe von Klosterschwestern gegen hohe kirchliche Würdenträger weltweit gehäuft. Das Frauenmagazin der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“, „Donne, chiesa, mondo“ (Frauen, Kirche, Welt), hat in seiner aktuellen Februar-Ausgabe ein Verschweigen des sexuellen Missbrauchs von Ordensfrauen kritisiert.

Die italienische Historikerin Lucetta Scaraffia von der La Sapienza Universität in Rom zitiert in dem Artikel „Senza tatto“ (deutsch: Ohne Taktgefühl) in der Vatikan-Zeitung „Osservatore Romano“ aus zwei Berichten aus den 1990er Jahren über den sexuellen Missbrauch Geistlicher an Ordensfrauen. Sowohl die katholische Ordensfrau und Entwicklungshelferin Maura O’Donohue sowie die Oberin der Sœurs Missionnaires de Notre-Dame d’Afrique (Missionarische Schwestern Unserer Lieben Frau in Afrika), Marie McDonald, hatten Scaraffia zufolge „präzise Anzeigen“ gemacht, die auf „fundierten Untersuchungen“ beruhten.

„Über ihre Anzeigen fiel Schweigen und man weiß nur zu gut, wie Schweigen tatsächlich dazu beiträgt, den Vergewaltigern Sicherheit zu geben, die sich ihrer Straffreiheit immer sicherer werden“, schreibt Scaraffia in dem Artikel.

Mitarbeiter der Glaubenskongregation tritt nach Vorwürfen zurück

Erst jüngst hatte der österreichische Pater Hermann Geissler beim Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre der Kirche, Kardinal Luis Ladaria, seinen Rücktritt eingereicht, weil er die deutsche Nonne Doris Wagner im Beichtstuhl massiv bedrängt haben soll. Geissler war einer von drei Büroleitern der Glaubenskongregation.

Die Philosophin und Theologin Doris Wagner hatte im Vatikan Vorwürfe wegen Übergriffen und Missbrauch während ihrer acht Jahre als Nonne in der geistlichen Gemeinschaft „Geistlichen Familie Das Werk“ (Familia spiritualis opus, FSO) vorgebracht.

Die heute 35-Jährige war nach eigenen Angaben im Jahr 2008 von einem Priester vergewaltigt worden und hatte dies ihrem Gemeindevorsteher in Rom gemeldet. In der Folge habe sie ein Geistlicher bedrängt, der auf seinen Wunsch hin ihr Beichtvater geworden sei. Bei diesem handelte es sich offenbar um Geissler, der ebenfalls Mitglied in der Gemeinschaft FSO ist.

Er (Geissler) habe gesagt, „dass er mich liebt und dass er wisse, dass ich ihn liebe, und dass es andere Wege gebe, auch wenn wir nicht heiraten dürften“. Doris Wagner warf dem Priester überdies vor, einmal versucht zu haben, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen. Geissler weist die Vorwürfe zurück. Er war nach einem Disziplinarverfahren im Jahr 2014 lediglich verwarnt worden.

Missbrauch von Nonnen durch Geistliche in der Kirche ist seit langem bekannt

Die katholische Kirche wird seit Jahren von Missbrauchsaffären erschüttert. Bislang waren vor allem Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche bekannt geworden. Ende Februar kommen im Vatikan die Vorsitzenden der weltweiten Bischofskonferenzen zusammen, um über den „Schutz von Minderjährigen“ zu beraten.

Das Problem des Missbrauch von Nonnen durch Geistliche ist in der Kirche seit langem bekannt. Maura O’Donohue schrieb ihren Bericht über sexuellen Missbrauch von Nonnen durch Priester und Bischöfe 1994. Sie sandte den Text an den damaligen Vorsitzenden der Ordenskongregation Kardinal Eduardo Martínez Somalo. Darin benannte sie zahlreiche Fälle in 23 Staaten, darunter Indien, Irland, Italien, Philippinen, Vereinigte Staaten und einige afrikanische Länder.

2001: Johannes Paul II. entschuldigt sich bei Nonnen

Der Vatikan berief daraufhin eine Untersuchungskommission ein, um Missbrauch und Vergewaltigungen an Nonnen durch Priester zusammen mit Maura O’Donuhue zu prüfen. Die Fälle bestätigten sich. 2001 gelangte der interne Bericht durch das US-Magazin National Catholic Reporter an die Öffentlichkeit, woraufhin renommierte Zeitungen wie die „New York Times“ darüber berichteten..

Am 22. November 2001 entschuldigte sich Papst Johannes Paul II. öffentlich bei jenen Ordensschwestern, die Opfer von sexuellem Missbrauch durch Priester geworden waren. Anschließend stellte sich heraus, dass sich die Verantwortlichen im Kirchenstaat bereits seit 1995 offiziell mit dem Thema befasst hatten.

US-Studie über sexuelle Traumata von US-Nonnen

Im Januar 2003 berichtete die amerikanische Zeitung „St. Louis Post-Dispatch“ über eine Studie der St. Louis-Universität, („A National Survey of the Sexual Trauma Experiences of Catholic Nuns“, auf deutsch: Eine nationale Erhebung über die Erfahrungen sexueller Traumata katholischer Nonnen). Die Untersuchung, die von amerikanischen Ordensgemeinschaften mitfinanziert und 1996 abgeschlossen wurde, blieb seitdem unter Verschluss.

Die Autoren der Studie um den US-Psychiater John T. Chibnall befragten insgesamt mehr als 1100 Nonnen von 123 Ordensgemeinschaften in den USA. Vier von zehn Nonnen gaben an, unter verschiedensten Formen von sexueller Traumatisierung zu leiden, wie der „St. Louis Post-Dispatch“ und katholische Nachrichtenagenturen damals berichteten. Das Spektrum reichte von sexuellem Missbrauch in der Kindheit bis hin zu sexueller Belästigung und Übergriffen von Priestern und Mitschwestern. Mindestens 34 000 Ordensfrauen sollen betroffen gewesen sein.

„Erschreckender Befund“

„Auf den erschreckenden Befund scheint es mir nur eine angemessene Reaktion von kirchlicher Seite zu geben“, erklärt Doris Wagner. „Die Bedingungen des Missbrauchs zu untersuchen, die Täter zu konfrontieren und zur Rechenschaft zu ziehen und wirksame Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Fälle zu ergreifen.“