Abertausend Flüchtlinge hat die Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel angelockt. Auf die Euphorie folgt nun ein Offenbarungseid, meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Erwartungsvolle Menschen. Frohe Herzen. Leuchtende Augen. Begeisterungsrufe, als der Zug einfährt. Klatschen und Jubeln, als die Flüchtlinge aussteigen, als sie durch das Spalier der Applaudierenden laufen, endlich angekommen im Land der Sehnsucht, wo paradiesische Zustände herrschen, wo Milch und Honig fließt, hier bei uns, die wir so oft und so viel geschmäht worden sind. In diesem Moment sind wir sichtbar um so vieles besser als alle anderen in der EU. Europa, schau auf dieses Land.

 

Das war vor gut einer Woche im Münchner Hauptbahnhof. Natürlich sah ich auch hin – und traute meinen Augen nicht. Auf mich wirkte die Szene wie ein Happening, wie ein schnell zusammengerufener Flashmob. Das hatte etwas Künstliches, Aufgesetztes, Unpassendes, denn da kamen Schutzsuchende, wie es jetzt halboffiziell heißt, und die Zuschauer jauchzten exaltiert, ließen spitze Schreie hören, als stiege gerade unsere kraftstrotzende und siegreiche Fußball-Nationalelf aus dem Intercity, als seien die Beatles wiederauferstanden oder Helene Fischer machte einen Zwischenstopp bei ihrer atemlosen Jagd durch die Nacht.

Mit überschießender Begeisterung wurde die Szene auch in der Öffentlichkeit begrüßt. Ja, sie avancierte gewissermaßen zur Schlüsselszene für die ja in der Tat hocherfreuliche private deutsche Hilfsbereitschaft und für Merkels Mottos, wir können das schaffen und das Asylrecht kenne keine Obergrenze. Worte allerdings, die nicht nur mit ihrer Wirkung in der Welt, dem sogenannten Pulleffekt, Furore machten. Sie beinhalteten eben nicht nur das gefährlich Mutmachende nach außen, sie strahlten auch nach innen aus – sollten es wenigstens. Merkel feierte mit ihrem vermeintlichen Krisenmanagement Deutschland. Die Claqeure am Münchner Hauptbahnhof, überwiegend junge Leute, hoben mit den Ankömmlingen zugleich sich selbst in den Himmel. Endlich was los, und sie konnten sogar dabei sein.

Dem überschäumenden Empfang folgt der Absturz

Ob diese Jubelnden bei all der Freude auch einen Gedanken darauf verschwendeten, was die Asylsuchenden in den nächsten Stunden und Tagen nach diesem hollywoodartigen Auftritt erwartete? Es sah ganz und gar nicht danach aus. Doch das gilt es in alle Integrationsüberlegungen mit einzubeziehen. Um also nur das Naheliegendste zu nennen: zuerst dieser überschäumende Empfang, dann die Nacht womöglich mit Hunderten Mitgeflohenen auf der Pritsche in einer Turnhalle. Das ist ein Absturz. Dazu endloses Anstehen vor der Toilette. Der Kampf um die Dusche. In den folgenden Wochen schließlich Schwierigkeiten mit der Sprache, mit der Bürokratie und unter Umständen die Einsicht, dass das Paradies auf Erden nicht einmal in der Bundesrepublik zu haben ist.

Immerhin, man hat das Leben und seine leibliche Unversehrtheit gerettet. Das ist viel, aber wahrscheinlich doch entschieden weniger als alles Erwartete – selbst wenn diese Deutschen so hilfsbereit sind wie nie zuvor, obwohl sie doch keinerlei Ahnung haben, wer zu Hunderttausenden in ihr Land drängt. Dazu noch unkontrolliert – zumindest bis zur Nacht des vergangenen Sonntags auf Montag.

Geflüchtete haben nicht alle das Grundgesetz im Kopf

Ja, in der Tat, wer sind diese Gefeierten und von uns so freundlich aufgenommenen Leute? Sie tragen Jeans, Turnschuhe und Steppjacken, wie man sie auch überall in den mitteleuropäischen Breiten trägt. Sie haben Handys, Tablets, Notebooks, was immer der moderne Mensch so haben muss. Sie sind bestens vernetzt. Die meisten sehen aus, als kämen sie gerade von einer Schicht bei Daimler oder bei Bosch. Das mag das staunende Publikum glauben machen, die Geflüchteten hätten allesamt unser schönes Grundgesetz im Kopf und im Sinn. Aber das haben sie gewiss nicht. So wenig wie damals die Protestierenden während der sogenannten Arabellion – anders als so viele bei uns vermuteten – mit ihrem Kampf eine Demokratie nach westlichem Muster anstrebten. Wir Europäer, und nicht nur wir Deutschen, aber wir besonders, sind eben betriebsblind. Und wir sind verwöhnt, dazu katastrophenunerfahren seit siebzig Jahren, weshalb wir vor allem in unseren Kategorien denken und folglich glauben, diese Leute kämen, weil sie in jeder Hinsicht leben wollten wie wir.

Merkel hat einen Riesenfehler gemacht

Aber wollen sie das wirklich? Auch sie denken natürlich in ihren Kategorien. Viel wahrscheinlicher ist es also, dass sie kommen, weil sie nicht mehr leben wollen wie in ihren Heimatländern oder wie an ihrem bisherigen Aufenthaltsort, etwa der Türkei. Das ist verständlich, aber es ist etwas ganz anderes. Deshalb wird die Gemeinschaft mit ihnen, welche die Bahnhofsjubilierenden so lauthals feierten, doch etwas unruhiger sein, als wir uns das wünschen. Werden sie unsere großzügige Meinungsfreiheit ertragen? Werden sie den Frauen zugestehen, sich frei zu entwickeln, ohne dass sie ihr Leben riskieren? Werden sie es hinnehmen, dass hier jeder glauben darf, was er will?

Ja bestimmt, viele von denen die hier eintreffen, werden den Kopf so frei bekommen. Andere eher nicht, wovon die hiesigen Parallelgesellschaften beredt erzählen. Daran hat Angela Merkel in den Momenten ihrer übergroßen – weiblichen? – Güte offenkundig nicht gedacht. Auch nicht, dass sie mit ihren Worten zu einer Völkerwanderung Richtung Deutschland auffordert und zudem den extremen Rechten Aufwind verschafft. Ein Riesenfehler! Mit den Grenzkontrollen ist er kaum einzuholen. Dunkle Flüchtlingswolken über Deutschland. Und die Kanzlerinnendämmerung hat auch schon begonnen.