Die Störenfriede aus Athen und Moskau werden nicht gegen die Realitäten der Globalisierung siegreich sein, meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Unvergessen jener Moment als wir, ein Bus voller Nachkriegskinder, die Grenze auf dem Brenner überquerten und in jenes sonnengetränkte Land eintauchten, wo die Zitronen blühen. Wenig später dann, auf Klappsitzen in einem rostig-wackligem Gefährt, ab nach Paris, auf dessen Boulevards man zwei Paar Schuhe zuschanden latschte. Schon damals, in diesen angeblich so finsteren, in Wahrheit aber beglückenden Jahren, da es immer nur bergauf ging, ließen wir das Nationale freudig hinter uns. Das Vaterland war uns wurscht. Wir fühlten uns als Europäer.

 

Das waren wir auch, lange bevor die Grenzen aufgingen und die Europäische Union Wirklichkeit wurde, von der die Vernünftigen und Wahrhaftigen in der Generation unserer Eltern geträumt hatten. Was für ein Glück, einfach mal so nach Frankreich zu fahren. Welches Vergnügen, ganz weltmännisch oder weltfraulich in einem Bistro den Café au lait und deux Croissants zu bestellen – letzteres in Deutschland noch lange Zeit ein seltenes Gebäck. Schließlich keine Grenzen mehr und die einheitliche Währung, eine herrliche Urlaubs-und Reiseerleichterung, dazu exportfördernd – was immer auch sonst an Problemen damit verbunden war.

Zweierlei Chuzpe, zweierlei Erpressung

Schon vorher jedoch der Rückfall auf dem Balkan, wo sich die Völker, nach der Befreiung von Tito, auf jahrhundertealte nationale Ehrenkäsereien besannen und gegenseitig abschlachteten. Heute nun der überschießende Herr Tsipras, der das Selbstgefühl der Griechen hochpeitscht und dem restlichen Europa die Zunge herausstreckt. Und fast gleichzeitig, als Zugabe, Wladimir Putin, plötzlich getrieben von imperialen Lüsten. Zweierlei Chuzpe, zweierlei Erpressungsversuche. Zweierlei Ausstieg aus der europäischen, ja globalen Wirklichkeit. Die gemäßigte Welt reibt sich die Augen. Nach all dem mörderischen Irrsinn, den die Islamisten produzieren, hat uns das gerade noch gefehlt. Was also kriecht da, aus den Verließen der Geschichte, ans Tageslicht unserer schönen, neuen Welt?

Es sieht nach Stärke aus. Doch nichts als Schwäche ist die treibende Kraft. Die Griechen plustern sich auf, aber ihre Kassen sind lotterleer. Zu Hause haben sie gewonnen, doch in Europa längst verloren. Ihre selbst verschuldete demütigende Isolierung versuchen sie mit trotziger Unverschämtheit wett zu machen. Ein bisschen Hollywood - Cowboystiefel, lässig heraushängendes Hemd, Yul-Brynner-Glatze beim Finanzminister, Alexis-Sorbas-Gehabe beim Regierungschef – vernebelt zwar den Ernst der Lage. Doch es bleibt dabei: als Tiger sind sie gesprungen, als Bettvorleger werden sie landen. Irgendwann müssen sie in der Merkel-Hollande-Renzi-Draghi-Realität ankommen. Erst danach mag es – immer vorausgesetzt, der Grexit bleibt abgewendet – für die griechische Nation, europäisch zurecht gestutzt, wieder aufwärts gehen.

Nackter Oberkörper, gestählte Muckis

Mit Putin haben wir es schwerer. Auch er sieht sich als ein Gedemütigter: durch den Lauf der Geschichte, der die Sowjetunion zerfledderte und durch die Geringschätzung des Westens danach. Einst Weltmacht, heute Provinzmacht, meint zumindest Obama. Tatsächlich aber ist es doch ein Riesenreich, ökonomisch arm, nur an Rohstoffen reich. Wie soll man so viel Kränkung heilen? Mit dem Raketenschirm fing die Zurücksetzung an, mit dem Ukraine-Flirt der Europäischen Union war das Maß voll. Zu guter Letzt die Sanktionen! So etwas treibt man doch nicht mit einem Weltmächtigen, das behält man sich für Länder aus der dritten Kategorie vor.

Da hilft es auch nicht viel, dass sich der Herrscher aller Reußen auf Pferderücken oder im U-Boot ablichten lässt, dass er der Welt mit nacktem Oberkörper und gestählten Muckis gegenübertritt. Er ist ein drahtiger Kleiner – wie klein, das sieht man erst, wenn er neben diesem Brocken von einem Mann, dem Alexander Lukaschenko steht. Nur durch das Gas und durch seine Armee wird Putin richtig groß. Die Krim gesellt sich als ein Scherflein hinzu, auch wenn das Fleckchen Erde Probleme macht und viel Geld kostet. Mit der Ostukraine kann es ihm nicht anders ergehen. Trotzdem, her damit. Das sind ihm die Turbulenzen, die er verursacht, schon wert. Was für ein Gefühl! Es wird allerdings nicht ewig vorhalten, sondern auch irgendwann den globalen Zwängen weichen.

Selbstbewusst und souverän

Doch ein Glück, dass wir inmitten dieses Männertumults eine unaufgeregte Frau als Kanzlerin haben. Selbstbewusst und souverän. Ohne Übersteigerungen. Das wohlverstandene Interesse ihres Landes im Blick, aber weit entfernt von nationalen Aufgeregtheiten. Und ausdauernd wie sonst nur ein Ironman. Berlin, Moskau, München, Washington, Minsk und wieder zurück: wer noch hält das aus?

Immerhin steht ihr der klug ausgleichende Frank Walter Steinmeier zur Seite. Gemeinsam bilden sie ein Duo der Vernunft und hoffentlich auch einen Schutzwall gegen die lieben Waffenfreunde aus Amerika und von anderswoher. Die mögen vielleicht Geschäfte wittern. Auf einen Sieg der schwachen Ukraine gegen das riesige Russland können sie nicht wirklich hoffen. Bleibe also hart, Angela, und lass Dich nicht von abenteuerlustigen Buben locken. Die wohnen weit weg. Wir aber in Europa sind ganz nah.