Die antiamerikanischen Vorurteile sind altbekannt, wohlfeil und übersehen die Geschichte – meint unsere Kolumnistin.

Stuttgart - Immer wieder in diesen erregten Tagen kommen mir die Bilder von Wandschmierereien aus der Nachkriegszeit in den Sinn. „Ami go home“ stand da geschrieben als Reflex der Besiegten auf die Sieger. Es war ein nationalistischer Nachklang des Dritten Reiches. Vor allem alte Nazis schlugen die Trommel dazu. Irgendwann ließ das nach. Doch jetzt, mit der Schnüffelaffäre, erscheinen die Amis plötzlich wieder als die Bösen, ja nachgerade als unsere Feinde. Gegen die ziehen wir nun in die Schlacht, eine Medienschlacht, angeführt von Hans-Christian Ströbele, dem Bundes-Bannerträger für alles, was sich bei uns als gut und rechtschaffen versteht. Hurra. Hurra.

 

Die Amerikafeindlichkeit hierzulande hat schließlich Tradition. Sie kommt von den Rechten aus der Frühzeit der Republik, streift die Mitte, hat ihren Hauptsitz heute bei den Linken und ist im Moment sehr populär. Eigentlich hat sich diese Haltung nie ganz verflüchtigt. Immer ließen sich Gründe finden, über die Amis herzuziehen. So etwa während des Vietnamkrieges, der die antiamerikanischen Gefühle besonders unter den jungen Leuten mächtig befeuerte. Beim Ausbruch des Feldzuges im Irak legten wir nach, erst recht, als sich die Ungeheuerlichkeiten der Bush-Administration wie Abu Ghraib und Guantanamo herumsprachen. Und nun, 2013, bescheren uns die Geheimdienste der Amerikaner eine akustische Oberaufsicht, wie sie George Orwell bereits für 1984 vorausgesehen hatte. Jetzt ist es tatsächlich so weit. Die USA sind jener Große Bruder, den es sogar interessiert, was unsere Kanzlerin ihrem Handy anvertraut. Darüber dürfen wir uns zu Recht empören. Aber es ist eben längst nicht alles, was es an den Vereinigten Staaten wahrzunehmen gilt.

Ströbele hat nichts wesentlich Neues aus Moskau mitgebracht

Mir ist dieses Ressentiment zu unhistorisch, und wohlfeil ist es auch. Zudem sind es immer die falschen Leute, die ihr Süppchen daraus kochen. Damals waren es die alten Nazis, heute setzen wir ausgerechnet Hans-Christian Ströbele den Heiligenschein auf, einem Mann, der ein politisches Leben lang auf der linken Rasierklinge ritt und für seine unterstützende Nähe zu den RAF-Terroristen auch schon mal rechtskräftig verurteilt wurde. Inzwischen hat er sich zu einem pfiffigen alten Knaben gemausert. Sein Moskau-Coup ist ihm gelungen, und das ist ihm auch von Herzen zu gönnen. Doch mit diesem Höhepunkt einer ungewöhnlichen Advokaten-Existenz muss es jetzt genug sein. Er hat nichts wirklich Neues aus Moskau mitgebracht. Aufschlussreich ist allenfalls der Blick auf jenen schmächtigen jungen Mann namens Edward Snowden, diesen modernen Herostrat. Viele Leute halten ihn für einen Helden. Und es ist ja wahr, dass er uns die Augen geöffnet, über die Verselbstständigung amerikanischer Geheimdienstaktionen belehrt, dabei jedoch einen Eid gebrochen, sein Leben versaut und seinem Land sehr geschadet hat.

Mit diesem Land sind wir aufs engste verbunden. Und zwar in vielerlei Hinsicht und seit langer Zeit. Wir haben es mitgeprägt durch die millionenfache deutsche Auswanderung zu Zeiten der feudalen Herrschaft in Europa. Während der Hitler-Jahre hat dieses Land den verfolgten Deutschen Schutz und Arbeitsmöglichkeiten geboten, darunter nicht nur Bürgern in Not, sondern ebenso Berühmtheiten wie dem Historiker Fritz Stern, der Philosophin Hannah Arendt, den Schriftstellern Heinrich und Thomas Mann oder Carl Zuckmayer, den Musikern Kurt Weill und André Previn. Rechnet man die Österreicher Erich Wolfgang Korngold, Lotte Lenya, Georg Kreisler, Billy Wilder, Otto Preminger und Fred Zinnemann hinzu, dann weiß man gar nicht, wie Hollywood ohne sie das hätte werden können, was es geworden ist.

Unsere Feinde müssen wir nicht in den USA suchen

Und was wäre aus Deutschland geworden ohne die kriegsentscheidende Invasion der Alliierten in der Normandie, die Tausende und Abertausende GIs das Leben kostete? Was wäre geworden, hätten die verketzerten Amis 1945 dem gedemütigten Deutschland nicht auf die Beine geholfen? Was wäre geworden, hätten sie den Westdeutschen nicht beim Aufbau eines demokratischen Staates zur Seite gestanden? Was wäre gewesen, hätte Bush-Vater 1989 nicht so entschieden gegen den Widerstand von Mitterrand und Margaret Thatcher auf die Wiedervereinigung gedrungen?

Das alles kann man natürlich als Vergangenheit abtun, kann nur auf den gegenwärtigen Sündenfall schauen und den Vertrauensbruch anklagend in alle Welt hinausschreien. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass wir auch nicht immer so standfest gewesen sind, wie die Amis sich das gewünscht haben. Zum Beispiel als wir uns, Gerhard Schröder sei Dank, aus dem Irakkrieg heraushielten und als wir bei der Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat nicht mit den Verbündeten stimmten. Aus amerikanischer Sicht sind wir Deutschen eben auch keine Waisenknaben.

Vielleicht haben sie uns deshalb so gern ausspioniert. Aber sie haben uns mit ihrem american way of life auch kulturell kolonisiert, sie haben uns nicht nur mit der Freiheit, einer neuen Lockerheit und dem wunderbarsten Jazz beschenkt, sondern zudem mit allerlei gern angenommenen Oberflächlichkeiten und Überflüssigkeiten – vom Popcorn bis zum Valentinstag – überschwemmt. Wir sollten uns nichts vormachen: in dem Sinne, wie Kennedy ein Berliner war, sind wir längst Amerikaner. Unsere Feinde müssen wir bei ganz anderen Leuten suchen.