Sind seine Politiker plötzlich zu den Islamisten übergelaufen? Das fragt unsere Kolumnistin in Anbetracht der aktuellen Ereignisse in Ägypten – und dem, was hier in Europa dazu gesagt wird.
Stuttgart - Wir dachten schon, er hätte sich geändert, wäre gewachsen und gereift, doch Pustekuchen. Guido Westerwelle, unser aller Außenminister, ist auf seine frühe Fanfarenform zurück gefallen. Wie zu Beginn seiner Amtszeit trompetet er mit metallischem Klang und eisblauen Blickes seine Botschaft in die Welt. Unbewegt und kalt entschlossen verdammt er das ägyptische Chaos vor Mikrofonen und Kameras, dieser Rechtschaffene, die Inkarnation der politischen Moral. Ein Herold des Westens, der den Pharaonenkindern sagt, wo’s langgeht.
O Isis und Osiris! Darob werden sie wahrhaft froh und lustig sein. Und wie diese politische Schmalbrust aus Deutschland so vor uns steht und via Bildschirm in unsere Wohnzimmer spricht, wie unser Wunderjunge auf Verhandlungen zwischen Islamisten, Militärs und Säkularen pocht - Leuten, die partout nicht verhandeln wollen - , und wie er die Rückkehr zum demokratischen Fahrplan am Nil einfordert - den es in Wahrheit ja nie lupenrein gegeben hat - , da ist er alles andere als ein Wegweiser. Da zeigt er sich nur als unsere nationale Speerspitze der gesamtwestlich demonstrierten Überheblichkeit und Realitätsferne.
Die Kopten leben in Angst und Schrecken
Barack Obama sagt aus Protest gegen die Gewalt in Kairo die gemeinsamen Manöver mit der ägyptischen Armee ab. Angela Merkel will mit anderen Europäern über die Restriktion von Rüstungsexporten nachdenken. Ihr Entwicklungsminister Niebel hat Hilfsgelder eingefroren. Aber Mursi, der mutwillige Zerstörer der ersten demokratischen Ansätze, durfte sie weiter erhalten? Und wo stehen wir christlich geprägte Europäer eigentlich? Auf der Seite der Islamisten, also der Leute, die jegliche Toleranz ablehnen, die zahllose Kirchen in Ägypten zerstören, die die Kopten in Angst und Schrecken jagen und ermorden?
Klar, wir stehen auf Seite einer formalen Demokratie. Die wird’s schon richten, wenn sie einmal funktioniert. Davon sind wir überzeugt. Was aber, wenn aus freien und gleichen Wahlen Parteien als Sieger hervorgehen, die mit Freiheit und Demokratie nichts am Hut haben, die sich auf keine Kompromisse einlassen, die von der Gewaltenteilung und der Notwendigkeit einer lebendigen Opposition nichts halten und ihr Mandat als das Recht auf Unterdrückung und Verfolgung von Minderheiten auslegen?