Die Kunst gehört sich selbst. Wir dürfen sie genießen. Auf keinen Fall aber gehört sie der Politik – weiß die StZ-Kolumnistin Sibylle Krause-Burger. Das zeigt auch der Fall des designierten Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev.

Stuttgart - Wladimir Putin ist eine Anfechtung, eine Art Gottseibeiuns, nicht nur für die aufmüpfigen Pussy-Riot-Frauen und andere Freiheitsfreunde in Russland. Auch für alle demokratisch Rechtschaffenen im Westen – mit Ausnahme von Gerhard Schröder – ist er zur Zeit in Acht und Bann geschlagen. Ein Unberührbarer. Deshalb verspürt unser Bundespräsident nicht die geringste Lust, mit dem östlichen Potentaten auf Olympia-Tribünen herumzusetzen und wie ahnungslos zu lächeln. Und die Kanzlerin, die sonst liebend gerne hochrangige Männerwangen küsst und sich im übrigen, die Bedauernswerte, im Vergleich zum französischen Kollegen, gar nichts gönnt, reicht dem Russen nur kühl die Hand. So weit, so verständlich.

 

Schwieriger ist es, wenn die Kunst ins politische Spiel kommt. Denn die bekanntlich sehr musikalischen Russen haben der Welt immer wieder geniale Komponisten und begnadete Interpreten geschenkt. Einer von ihnen heißt Valery Gergiev. Der Dirigent zählt zu den derzeit Allerberühmtesten seiner Zunft, leitet das Philharmonische Orchester Rotterdam, das London Symphony Orchestra und soll von 2015 an auch die Münchner Philharmoniker zu außerordentlichen Höhen führen. Dieser Star hat nur einen entscheidenden Fehler. Er liebt Wladimir Putin. Noch schlimmer: Gergiev tut dies auch öffentlich kund und verstieg sich unlängst während einer Pressekonferenz im Zusammenhang mit der Diskussion über Putins Anti-Homosexuellen-Gesetz zu der Bemerkung, vor Kindern solle man besser über Puschkin und Mozart reden als über nicht traditionelle Lebensformen. Das hätte er nicht tun sollen, der Schändliche, weshalb eine Kritikerin der Wochenschrift „Die Zeit“ zu dem Schluss kam, „das westliche Musikleben“ sollte so frei sein und so frei bleiben, sich zu überlegen, ob es einen Dirigenten wie diesen braucht.

Gesinnungstest vor dem Klavierkonzert?

Donnerwetter! Bei der Lektüre dieses Artikels aus den spießigsten Tiefen des Zeitgeistes sind die Rotterdamer und Londoner, die Münchner und mit ihnen alle, die im „westlichen Musikleben“ etwas zu sagen haben, gewiss mächtig ins Grübeln geraten: Müssen vielleicht – im Sinne öffentlicher Moral – die politischen Gedanken eines Künstlers mit denen der zuhörenden oder zuschauenden Mehrheitsgesellschaft im Einklang sein? Brauchen wir entweder einen Gesinnungstest, bevor wir Auftrittserlaubnis erteilen? Und gilt auf alle Fälle ein Redeverbot für Pianisten, Violinisten, Cellisten oder Dirigenten, wenn ein Fehltritt auf dem geheiligten Parkett der politischen Korrektheit droht? Hört unsere Meinungsfreiheit auf, wo der moralische Mainstream zu fließen beginnt? Und wer ist nun intoleranter – der Musiker mit seiner putinlastigen Bemerkung oder die unerbittliche Musikkritikerin?

So viel, immerhin ist gewiss: Der Versuch, die Kunst der herrschenden politischen Lehre anzupassen, hat keine demokratische Tradition. Ganz im Gegenteil. Ich dachte sofort an Josef Stalin, dem Dmitri Schostakowitschs Kompositionen nicht fromm-kommunistisch genug waren und der ihn zwang, Jubilierendes zu schreiben. Mir fiel Adolf Hitler ein, der Felix Mendelssohns wunderbare Werke aus den Konzertsälen verbannte, obwohl sie so urdeutsch-romantisch klingen. Doch ein Jude hatte sie erdacht. Also mussten sie getilgt werden. Die Nazis und die DDR-Sozialisten brandmarkten den Jazz, der ihnen zu wild, zu revolutionär, zu freiheitstobend klang. Und die Israelis – was freilich nicht von Staats wegen verordnet ist – wollen die Musik Richard Wagners nicht hören. Das kann man nachvollziehen, und doch erscheint es mir ungerechtfertigt. Ja, Richard Wagner war ein schrecklicher Antisemit. Aber er lebte lange vor dem Holocaust. Und was kann seine Musik dafür, dass Hitler sie liebte und zu seinen verbrecherischen Zwecken benutzte?

Reinheitsgebote in der Kunst haben etwas Faschistisches

Die Kunst gehört sich selbst. Wir dürfen sie genießen. Auf keinen Fall gehört sie der Politik. Wollten wir sie nach den gerade herrschenden politischen Meinungen oder gar den persönlichen Mängeln der Künstler bewerten, dann wäre die Liste der Fragwürdigkeiten lang. Was machen wir dann mit dem religiösen Antisemiten Martin Luther, der ja nicht nur ein großer Reformator, sondern auch ein großer Dichter und Sprachschöpfer war, ohne den die deutsche Sprache nicht wäre, was sie ist? Wollen wir das alles wegwerfen und die Bibel, wenn überhaupt, wieder mal, wie Feministinnen fordern, in einer „gerechten Sprache“ lesen? Verdammen wir Goethes Lyrik, nur weil er in unserem Sinne kein Demokrat war, seinen feudalen Herzog liebte und Napoleon anhimmelte? Sehen wir uns jetzt keine Ausstellung der einst von den Nazis verbotenen Bilder des Farb-Genies Emil Nolde mehr an, nachdem der Künstler – trotz aller Verfolgung – jetzt als Hitler-Begeisterter entlarvt worden ist? Und wollen wir auch keine Aufnahmen mit Wilhelm Furtwängler mehr hören, der im Dritten Reich eine zwielichtige Rolle gespielt hat?

Das alles wollen wir nicht. Ganz offensichtlich liegt doch etwas Faschistisches in den Reinheitsgeboten, angeblichen Unvereinbarkeiten und moralischen Unbedingtheiten, die gerade im Schwange sind. Dabei ist es in Wahrheit schnuppe, was Valery Gergiev politisch denkt. Und was immer er dazu öffentlich sagt, können wir in unserem freiheitlichen Klima doch leicht verkraften. Zu werten und zu gewichten allein ist seine Musik.