Nicht die Ehre, sondern die Existenz von Frauen ist bedroht – meint unsere Kolumnistin.
Stuttgart - Dieser Tage in den Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine entsetzliche Szene: Im Wüstensand von Mali, versteckt unter einem Tuch, kauert ein zitterndes Etwas. Daneben ein baumlanger Kerl mit einer Peitsche, der auf das Etwas eindrischt. Es handele sich bei der Geschlagenen, sagt der Sprecher, um eine Frau, die wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs von einem Gotteskrieger bestraft werde. Ein schockierender Bericht. Doch nicht über diese oder vergleichbare Taten empört sich ganz Deutschland. Nein, hier kocht die Erregung hoch, weil sich ein Politiker des nachts an einer Stuttgarter Bar gegenüber einer Journalistin ein paar unpassende Bemerkungen erlaubt hat.
Folgt man dem Tenor des Medienalarms ob der Causa Brüderle, so tat sich an jenem Abend ein Abgrund von Sexismus auf. Was kümmert uns also das Leid in Mali, was die Misshandlungen von Frauen im aufgewühlten Ägypten oder das Elend in Indien, wo jüngst eine grausame Vergewaltigung mit Todesfolge auf die verheerenden Zustände hinwies. Solche Meldungen glühen auf und verglimmen sofort wieder. Wir hier in unserer schönen Bundesrepublik aber schnappen entrüstet nach Luft, nachdem ein älterer, nicht besonders attraktiver Politiker die altersdiskriminierenden Äußerungen einer jungen und properen Journalistin auf etwas anzügliche Weise abzuwehren versucht hat. Glückliches Deutschland.
Wir sollten unsere Parallelgesellschaften bekämpfen
Haben wir keine anderen Sorgen? Doch die haben wir. Auch hier werden Frauen unterdrückt, geschlagen, von ihren Brüdern ermordet, wie jene Arzu Ö., deren Vater gerade wegen Beihilfe zu diesem Verbrechen verurteilt worden ist. Die junge Frau hatte sich in einen Andersgläubigen verliebt. Deshalb musste sie sterben. Es geschah hier mitten unter uns. Und während wir nur wenig gegen die Versklavung von Frauen in fernen Gegenden der Welt ausrichten können – die Unterdrückung und Misshandlung junger Mädchen und Frauen in den Parallelgesellschaften unseres Landes können wir anprangern und bekämpfen. Jedes Jahr werden hier bis zu zehn Frauen aus Gründen der sogenannten Ehre ermordet. Hunderte suchen in Frauenhäusern Schutz. Das wäre doch wirklich mal ein Thema, ein Anlass für den Aufschrei der Medien. Aber nein, da müsste man ja manchen Migrantenminderheiten ans Portepee und also eine ideologisch befestigte Tabuzone antasten. Also erregen wir uns lieber über den armen Herrn Brüderle. Pfui Teufel, was für ein Wüstling. Noch nie, so scheint es, hat die Republik einen so schändlichen Frauenverächter gesehen. Ein Skandal!
Und ein Segen dazu. Des freut sich der große Heuchler „Stern“, der sich in dieser Sache so politisch korrekt gibt, sonst aber die nackten Busen auf fast jedem Titelblatt quellen lässt. Des freut sich Frau Nahles vom gegnerischen politischen Ufer, weil sie den Fraktionschef der Liberalen als sexistisches Monster denunzieren kann. Des freut sich vor allem die ewige Alice, die in tausend und einer Talkshow ihre schon morsche Stellung als Pythia des Feminismus noch einmal festigen darf. Des freuen sich nicht zuletzt die Frauen der jüngeren Generation, die jetzt endlich wichtig sind. Und das, immerhin, ist auch gut so. Denn junge Frauen – nicht nur jene Bedrohten aus den Parallelgesellschaften – haben tatsächlich große Probleme. Nur sehen ihre Vorkämpferinnen vor lauter blinder Empörung über den schauderhaften Sexismus nicht, wo mehr als nur die vermeintliche Ehre auf dem Spiel steht – wo es um ihre Existenz geht.
Warum regt sich hier niemand auf?
In Wahrheit sind viele Männer ja nicht zu nah, sie sind zu weit weg oder gar nicht vorhanden. Der Lebensabschnittsgefährte, der heute so en vogue ist, während die altbürgerliche Familie als spießig gilt, ist eben keine dauerhafte Stütze. Gerade die wird jedoch dringend gebraucht. Denn nach wie vor wachsen die Kinder im Bauch der Frau, und sie bleiben unsere Kinder ein Leben lang. Entgegen allen modischen Geschlechtertheorien bleiben sie auch ganz natürlicherweise in den ersten Jahren besonders eng an die Mutter gebunden. Deshalb ist es schön, wenn ein Mann ihr dabei zur Seite steht.
Tut er aber oft nicht. Der Mann ist weg, die Kinder sind da. Also sind 90 Prozent der Alleinerziehenden in der Bundesrepublik Frauen – in nackten Zahlen rund zwei Millionen! Nur in den ersten Jahren dürfen sie auf Unterhalt hoffen. Danach sind sie auf sich gestellt, weil doch angeblich jeder Partner selbstständig für sich sorgen soll und kann. Dabei haben Frauen in der Erziehungsphase womöglich den Anschluss in ihrem Beruf verpasst, kommen also nicht mehr weiter. Auch tragen sie alle Lasten des Alltags und zudem das Risiko, zu verarmen. Eine Karrierefrau mag diesem Schicksal entgehen. Für viele weniger Erfolgreiche ist es Normalität. Frauen als Opfer einer blinden Gleichheitsideologie, die so tut, als ob Männer und Frauen den gleichen Bauch hätten. Der Zeitgeist hat den Gesetzgeber auf diese Pfade gelockt und will nun, höchstrichterlichen Urteilen folgend, auch den ledigen Vätern das volle Sorgerecht für die mutterbetreuten Kinder zugestehen – sogar gegen den Willen der Mutter. Das kann heiter werden. Warum eigentlich regt sich darüber niemand auf?