Kolumne von Sibylle Krause-Burger Vulven malen und Bagger blockieren
Es ist nicht hilfreich, sondern hilflos, wenn Theologen und Politiker den Moden der Zeit hinterher laufen – kommentiert unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.
Es ist nicht hilfreich, sondern hilflos, wenn Theologen und Politiker den Moden der Zeit hinterher laufen – kommentiert unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.
Stuttgart - Beseligt schauen die beiden Blondinen in die Kameras und halten plakativ hoch, was sie in einem Workshop unter dem Titel „Vulven malen“ aufs Papier geworfen haben. Das schillert in allen Farben, zu besichtigen in Gazetten ebenso wie im Internet. Wer noch mehr davon genießen will, wird vor allem online nicht enttäuscht und findet die kunterbuntesten Variationen des Themas – von der niedlichen Ausführung bis zu flächendeckenden Mustern. Und das alles in Szene gesetzt auf dem Evangelischen Kirchentag zu Dortmund am vergangenen Wochenende. Da bleibt einem doch die Spucke mitsamt der ganzen Libido weg.
Nun sind auch andere, wahre Künstler schon darauf gekommen, sich diesem Gegenstand malerisch zuzuwenden, obwohl es, weiß Gott, schönere Ansichten gibt: Gustave Courbet etwa, der sein Bild den „Ursprung der Welt“ nannte, außerdem Egon Schiele und natürlich Picasso. War bei ihnen vor allem die männliche Lust mit im Spiel, so ging es auf dem Kirchentag darum, „sich kreativ mit der eigenen Körperlichkeit auseinanderzusetzen“. Auf dem Kirchentag? Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was damit gemeint sein könnte. Nur so viel ist klar: Kirchentag und Vulven malen, das geht nur mit großer Mühe zusammen, da knirscht es gewaltig im Getriebe.
Allerdings läuft die Sache glatt, wenn man bedenkt, wie Öffentlichkeit heutzutage funktioniert. Lass dir etwas völlig Verrücktes einfallen, möglichst gegen die ganz gewöhnliche bürgerliche Moral, also Vulven malen oder Kinder als Belastung des Ökosystems denunzieren und, schwupp, bist Du in allen Medien und aller Munde. Bist modern. Bist auf der Höhe der Zeit. Bist ganz in.
Etwas von der Art muss den Kirchenleuten durch den Kopf gegangen sein, als sie das Vulven malen in ihr Programm für Dortmund aufgenommen haben. Wahrscheinlich sind sie sich dabei sehr originell und fortschrittlich vorgekommen. Sie haben getan, was gerade bei allen Organisationen und Institutionen, die um ihren Fortbestand fürchten, angesagt ist: den Zeiterscheinungen hinterherlaufen, sich anbiedern, ranschmeißen, unterwerfen, dankbar aufschauen für die Gabe dieser guten Ideen, auf die man selbst angeblich nie gekommen wäre. Aber nun ist es Mode, und man ist mit fliegenden Fahnen dabei. Huldigt einem Gutmenschenpopulismus. Hofft auf Gefolgschaft.
Da ist man nicht nur radikal-feministisch bis zum Vulven malen, da erscheint auch mancher als Überraschungsgast unter den Klimapolitikern. Wo Zehntausende, wie am letzten Wochenende, protestierend in die Abraumhalden pilgern und die Bagger blockieren, will Markus Söder mit eigenem Bekenntnis dabei sein. Kühn fordert er den Kohleausstieg um acht Jahre vorzuziehen. Das kann er gut propagieren, er muss ja nicht wie sein sächsischer Kollege Michael Kretschmer um den Verlust von Arbeitsplätzen bangen.
Oder Annegret Kramp–Karrenbauer, die erst umjubelte und nun in schwere Wasser geratene CDU-Parteivorsitzende, die in der jüngsten Ausgabe der „Zeit“ nachgerade atemlos den Klimaaktivisten hinterherhechelt und über eine ganze Seite hinweg viel Altbekanntes zwischen erprobte Politikerfloskeln wie „wir brauchen…“, „wir müssen“ und „wir können so nicht weiterleben…“ packt. Offenbar halten sie und Ihre Berater das für eine treffende Antwort auf die Provokationen junger Leute im Fernsehen und in den sozialen Medien, wo die Nation dem blau gefärbten Rezo zuschaute, wie er die Altparteien mit seinen Anschuldigungen vorführte. Nur leider entzauberte sich der Gefürchtete danach schnell selbst, als er in einem Interview mit Jan Böhmermann stotterte und keinen vernünftigen Satz über die Lippen brachte. Von einem derart unausgereiften Internet-Jungchen lassen sich unsere politischen Promis demütigen. Oh je und ach, wie erschrocken wirken diese Armen. Wie hilflos. Es ist zum Weinen.
Immer wieder dürfen auch irgendwelche Greta Thunbergs unwidersprochen in allen möglichen, bildgebenden Medien drohen, sie würden so lange protestieren, bis sich etwas ändert. Ja ist denn noch gar nichts geschehen? Ist die Klimapolitik gerade erst erfunden worden? Ist Politik eine Sache des Knopfdrucks? Und weigern sich die bösen, bösen Inhaber der Macht, gleichgültig welcher Couleur, nur aus Daffke, diesen Knopf zu bedienen?
Soviel Unkenntnis ist schon bemerkenswert. Und solch naiven Leuten läuft die Prominenz bis hin zum Bundespräsidenten bewundernd hinterher. Doch ja, es ist gut, dass sich die jungen Menschen für Politik einsetzen. Gerade deshalb heißt es aber an dieser Stelle mal wieder den guten alten Max Weber aus der Schublade zu holen und darauf hinzuweisen, dass Politik kein Zauberkunststück sein kann. Es bedeutet „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern.“ Davon sollten diejenigen, die unsere kleine deutsche Welt bewegen, in der Öffentlichkeit reden, statt bei den Gesinnungsseligen Ergebenheitsadressen abzuliefern. Die Vulvenmalerei löst kein Frauenproblem. Sie ist bloß geschmacklos. Und nur über ausdauernde politische Arbeit plus viel Verzicht können wir das Klima noch retten – wenn überhaupt. Da sind nicht weiche Knie, da ist Rückgrat gefragt.