Warum verdammen wir den Russen Wladimir Putin und rollen für den Chinesen Xi Jinping den roten Teppich aus? – fragt unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Kurz nachdem Claus Kleber im Heute Journal am Mittwoch der vergangenen Woche sein üblich-affektiertes Gottenabend in die Kameras gesprochen hatte, setzte er hocherhobenen Hauptes und ebensolcher Nase gleich noch eins drauf. Nachgerade bebend vor Empörungslust knöpfte er sich im Interview den Siemens-Chef vor, der es ein paar Tage zuvor doch tatsächlich gewagt hatte, dem bösen Buben Putin seine Aufwartung zu machen. Und das in dieser Situation! Nach dem Einsacken der Krim! Was für ein Abgrund von Werteverrat. Wie konnten Sie nur, Herr Kaeser? Und haben Sie denn auch Mutti Merkel um Erlaubnis gefragt?

 

Also sprach die Tugend mit der Sünde. Doch die Sünde blieb völlig ungerührt, lächelte bisweilen still vor sich hin, lachte den Zeloten Kleber fast aus, hatte sich bei Muttern in Berlin ja tatsächlich rückversichert. Und deshalb ging das hin und her, der Vorwurf gegen völlig ungerührte Selbstgewissheit. Das vermeintlich Gute gegen das vermeintlich Böse. Hie Abscheu über den Bruch des Völkerrechts, dort das seit über hundert Jahren bewährte Geschäft, dort auch segensreiche Kontakte im Sinne des Friedens und der Verständigung, der Deeskalation, dazu Wirklichkeitssinn, Arbeitsplätze und 21. Jahrhundert anstelle des Kalten Kriegs. Zwei Welten. Sie redeten und agierten aneinander vorbei. Bei wem aber ist die Wahrheit? Wo Licht und wo Schatten?

Hat der kleine Napoleon noch größeren Appetit?

Es gab Zeiten, da wäre die Antwort leicht gefallen, da sprach man vom Reich des Bösen und ein eiserner Vorhang markierte den Verlauf der Grenze. Heute haben wir gerade noch Nordkorea als allgemein anerkannten politischen Höllenpfuhl auf der Erdkugel. Für den Rest gilt, dass alle mit allen auf die eine oder andere Weise verbandelt sind. Das nennt man Globalisierung. Da wirkt es dann schon ein bisschen seltsam, den kleinen Napoleon in Moskau zum politisch Aussätzigen zu stempeln, weil er die überwiegend russisch besiedelte Krim in einem günstigen – und wahrscheinlich von Europa unbedacht vorbereiteten Moment - trickreich und rechtswidrig heimgeholt hat. Vielleicht hat der Kerl sogar noch mehr Appetit, etwa auf den Ostteil der Ukraine. Dann aber, Freundchen, setzt es was. Die Kanzlerin, offenbar unseren Bedarf an russischem Gas ignorierend, spricht von weiteren Sanktionen. Frau von der Leyen will schon Nato-Truppen an den Ost-Grenzen des Bündnisses aufmarschieren lassen. Bei den G 7 darf der Gebannte nicht einmal mehr am Katzentisch sitzen. Denn so geht es nun wirklich nicht: erst die hübsche Halbinsel wegschenken und danach wieder zurückholen. Da blasen wir die Backen auf, und da sagt nicht nur der Wertepapst Kleber, da sagt der ganze Westen pfui Putin, pfui.

Was aber ist an Herrn Xi Jinping so anders, dem wir – ebenfalls in der letzten Woche – zu Berlin und in NRW den roten Teppich ausgerollt, den wir zum Staatsbankett geladen und weiß Gott wie bekurt haben? Dabei lässt der Chef-Chinese den weltberühmten und regimekritischen Künstler Ai Weiwei nicht nach Berlin zu einer Ausstellung seiner Werke reisen. Und auf dem Dach der Welt hat doch auch er seine Krim, hat sie zwar niemandem geschenkt und anschließend zurückgeholt, aber sein Land hält dieses Fleckchen Erde seit Jahrzehnten fest im Griff. Außerdem wünschen ganz bestimmt sehr viel mehr Tibeter die chinesische Herrschaft zum Teufel als Krimbewohner die altneue russische. Doch wenn die Chinesen, diese Welthinrichtungsmeister, zu uns kommen und hier noch ein paar mehr lukrative Verträge unterschreiben als die Russen, dann halten wir nur unser seit Jahrzehnten bewährtes Om Mani Padme Hum dagegen. Wir sagen Menschenrechte, Menschenrechte, Menschenrechte und fühlen uns wahnsinnig gut, obwohl jeder weiß, dass es nichts bringt, nichts verändert. Es sind Lippenbekenntnisse, die wir abliefern, und ein bisschen peinlich-heuchlerisch sind sie auch.

Was sucht Erdogan in der EU?

Da lob ich mir meinen Altkanzler Helmut Schmidt, der sich mit seinen 95 Jahren einen feuchten Vogelschmutz um die öffentliche und veröffentlichte Meinung kümmern kann, der die viel geschmähten Russlandversteher unterstützt und schon lange darauf beharrt, dass den Chinesen mit ihren rund 1,35 Milliarden Menschen ein paar Gebetsmühlenklapperer in Deutschland völlig schnuppe sind.

Macht also weiter so, provoziert den kleinen Napoleon und gebt dem chinesischen Gaul Zucker. Aber vergesst mir bitte weder ein paar despotische Herren aus Arabien noch den reizenden Herrn Erdogan, der Richter, Staatsanwälte und Polizisten versetzt und rausschmeißt, wenn ihre Ermittlungen seinen Ruf schädigen. Denkt an Tayyip, den Großen, einen modernen Sultan, der das Internet zensieren und youtube abschalten lässt, der eine Machtergreifung a la turca vorexerziert und nun, nach der für seine Partei triumphal ausgegangenen Kommunalwahl, den Gegnern droht. Was will dieser Mann in der EU? Was tun wir, wenn er uns wieder besucht und jubilierende Türken in deutsche Versammlungshallen lockt? Wie fühlt sich das eigentlich an, so einem die Hand schütteln zu müssen? Wie viel Selbstverleugnung wird demokratischen Politikern da abverlangt? Die Merkels und Steinmeiers sind wahrlich nicht zu beneiden.