Was ist dran an der oft zitierten christlich-jüdischen Tradition? Und wem soll der Satz gelten, der Islam gehöre zu uns?, fragt unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Er wollte bedeutend sein, der Unbedeutende, wollte eine Duftmarke setzen für seine Präsidentschaft und schenkte uns den Satz, der Islam gehöre zu Deutschland. Andere hatten schon vor ihm so gesprochen. Aber erst seit Christian Wulff, versehen mit den Weihen eines Staatsoberhaupts, darauf zurückgriff, machen diese Worte Wirbel im Strom der Meinungen, rühren auf, regen auf, spalten. Für die Befürworter ist fast ein Dogma daraus geworden. Der Satz läuft und läuft und läuft.

 

Er läuft wie inzwischen jener andere von unserer christlich-jüdischen Tradition, der dem Wulff-Bekenntnis entgegengehalten wird. Auch dieser Satz – oft ist es nur eine Erwähnung, wie nebenbei – schmückt Politikerreden jeglicher Couleur, untermauert Journalistenthesen, nistet sich ein in den Köpfen der Leute, als ob es nichts Selbstverständlicheres gäbe auf der Welt als uns gute Deutsche mit dieser segensreichen christlich-jüdischen Geschichte. Beide Worte, die des Ex-Bundespräsidenten Wulff ebenso wie die allseits beliebte christlich-jüdische Fanfare, sind Fake-Sätze. Sie sollen uns benebeln.

Der Wulff-Hinweis kommt von oben herab, er ist anmaßend, belehrend, und er geht in die falsche Richtung. Die einheimischen Deutschen sollen erzogen werden. Aber brauchen sie das? Hier gilt doch das Grundgesetz, dem zufolge Religionsfreiheit herrscht. Bei uns kann jeder glauben, was er will. Insofern gehört der Islam zu Deutschland wie jede andere Glaubensgemeinschaft auch.

Wollen die Zugewanderten wirklich zu Deutschland gehören?

Das Problem liegt also nicht beim Islam, sondern bei denen, die ihn zum Vorwand nehmen, um etwas zu leben und hier einzubringen, was bei vielen Menschen als störend, ja bedrohlich empfunden wird. Die Wirklichkeit verhält sich also genau umgekehrt zu den Behauptungen, die in der Politik und in der Medienwelt oft aufgestellt werden. Da wird argumentiert, der Islam habe in der Geistesgeschichte Deutschlands keine Rolle gespielt. Aber die Menschen moslemischen Glaubens, die hier leben – so wird gesagt –, die seien ein Teil Deutschlands.

Es geht jedoch nicht darum, ob die sogenannten Bio-Deutschen das so sehen, sondern ob auch die Zugewanderten ohne Wenn und Aber Deutsche sein wollen. An sie muss man die Frage weiterreichen, ob sie auch wirklich zu Deutschland gehören wollen.

Wer hier lebt, soll deutsche Gesetze und Gebräuche beachten

Natürlich gibt es viele, die seit Jahren hier zu Hause sind, in freundschaftlichen Nachbarschaften geschätzt und angenommen. Es sind gewiss die meisten. Aber es gibt auch drückende Probleme mit Migranten, die nach ihren eigenen Gesetzen leben und gleichzeitig dem Autokraten und Willkürherrscher Erdogan begeistert zujubeln. Etliche bilden Parallelgesellschaften, beschimpfen Nicht-Moslems als Ungläubige und tyrannisieren sie. Bisweilen geschieht sogar ein Mord. Es sind Leute, die ihre Töchter unterdrücken, Frauen grundsätzlich als Wesen zweiter Klasse ansehen, in Schulen Andersgläubige mobben, Kinderehen anbahnen, Ehrenmorde begehen oder einem eigenen Rechtssystem mehr trauen als den Institutionen der Bundesrepublik.

Solche Gruppen, Clans, Communitys, Vereine unter den Zugewanderten können sich nicht dazu durchringen, ganz in Deutschland anzukommen. Sie verweigern sich – zum Beispiel auch dieser Tage bei dem Bemühen der Humboldt-Universität in Berlin, Professuren für islamische Theologie ohne Aufsicht aus Ankara einzurichten.

Sie muss man ansprechen, muss sie ermahnen, nicht nur die Segnungen unseres Landes zu genießen: den Rechtsstaat, die soziale Sicherheit und den Wohlstand. Vielmehr sollen sie, bitte schön, auch die Gesetze und Gebräuche beachten, die hier gelten. Hielten sie sich daran, so hätten wir gewiss weniger fremdenfeindliche Ausfälle, und der AfD wäre manches Argument entzogen.

Zynischer Umgang mit der christlich-jüdischen Tradition

Der Satz des unglücklichen Christian W. ist also an die falschen Leute gerichtet und er ist nicht zu Ende gedacht. Das gilt noch viel mehr für die seltsamerweise positiv gemeinte Behauptung, Deutschland habe eine christlich-jüdische Tradition. Plötzlich leuchtet sie auf, diese Einsicht, um das Wulff-Bekenntnis zu konterkarieren oder der ganzen Gesellschaft wohlwollend auf die Schulter zu klopfen. Und natürlich gibt es eine christlich- jüdische Tradition.

Denken wir nur an den unsterblichen Heinrich Heine, an Kurt Tucholsky, an den weltwirksamen Karl Marx, an Siegmund Freud, an Moses Mendelssohn und seinen Enkel Felix oder an Gustav Mahler. Die meisten von ihnen haben es nicht gerade leicht gehabt. Andere mit solchen Abstammungen waren schlimmer dran, sie sind verfolgt, verbrannt, verschleppt, gefoltert, entrechtet und ermordet worden. Immer waren die Juden an allem schuld, am Tod Jesu – der doch selbst ein Jude war –, an der Pest, an Armut und Hunger. Angeblich haben sie Kinder geschlachtet und Brunnen vergiftet und vor allem die Welt beherrscht. Unter Adolf Hitler wurden sie als Volksschädlinge herabgewürdigt und ermordet.

Nur kurze Zeit besaßen sie volle Bürgerrechte in Deutschland, bevor man ihnen alles nahm, die Heimat, die Rechte, die Vermögen, sogar die Haustiere und zum Schluss das Leben. Jetzt sind sie plötzlich Ausweis einer wunderbaren christlich-jüdischen Vergangenheit. Eine feine Tradition ist das. Ihre lobende Erwähnung ist an Zynismus nicht zu überbieten.