Sibylle Krause-Burger beendet ihre Arbeit als Kolumnistin der Stuttgarter Zeitung. Die vielfach ausgezeichnete Journalistin sorgt sich um den politischen Diskurs in Deutschland – und sieht ihn nicht durch den Staat bedroht.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Im Oktober 1968 schrieb Sibylle Krause-Burger ihren ersten Beitrag für die Stuttgarter Zeitung, seit November 1997 hat sie einen festen Kommentar-Platz. Nun beendet sie ihre Zeit als Kolumnistin. Im Interview spricht sie über ihre journalistische Arbeit und die Zumutungen des Zeitgeistes.

 

Frau Krause-Burger, nach einem Vierteljahrhundert als Kolumnistin soll nun Schluss sein. Was überwiegt bei Ihnen in diesem Moment: Stolz, Wehmut oder Erleichterung?

Eine gewisse Zufriedenheit. Ein bisschen Wehmut auch. Diese wunderbare Arbeit, für die ich sehr dankbar bin, wird mir natürlich fehlen, die Chance, meine Meinung einem großen Publikum zu präsentieren, Orientierung zu geben, etwas Überraschendes auszugraben, einen Missstand aufzuzeigen, Personen zu beschreiben, die im Blickpunkt stehen. Ja, das werde ich vermissen. Aber ich wollte gehen, solange ich noch satisfaktionsfähig bin und mir noch etwas einfällt.

„Das eine oder andere Stück geriet mir zur Polemik“, haben Sie einmal gesagt. Meinten Sie das bedauernd oder als Eigenlob?

Weder noch. Einfach als Tatsache. Eine Kolumne muss anders geschrieben sein, einen anderen Ton haben als ein normaler Kommentar oder ein Leitartikel. Polemik gehört dazu. Manchmal muss man zuspitzen und polarisieren, um die Sache auf den Punkt zu bringen und die Leserinnen und Leser zum Nachdenken anzuregen.

Ihre allererste Kolumne für die Stuttgarter Zeitung handelte von dem Gebaren mächtiger Männer, deren Eitelkeit und ihren schlechten Manieren. Das ist ein Thema, das bis heute in Ihren Kolumnen auftaucht. Was fasziniert Sie so sehr daran?

(Sie lacht) Ich finde Männer an sich faszinierend. Aber im Ernst: Ich habe auch deshalb so viel über mächtige Männer in Politik und Wirtschaft geschrieben, weil es lange Zeit so gut wie keine mächtigen Frauen gab. Mich hat immer interessiert, wie Menschen mit Macht umgehen. Missbrauchen sie die? Achten sie die Regeln? Benehmen sie sich ordentlich – politisch und menschlich? Was treibt sie an? Wie verändern sie sich in der Macht? Wer sind sie hinter ihrer Maske?

In Ihren Kolumnen weisen Sie immer wieder auf Ihren jüdischen Hintergrund hin. Wie haben der Glaube und die Holocaust-Erfahrung Ihr journalistisches Tun beeinflusst?

Vom jüdischen Glauben habe ich keine Ahnung. Ich bin evangelisch erzogen worden. Mein Vater war, wie die Nazis sagten, arisch. Meine Mutter wuchs in einer assimilierten jüdischen Familie auf. Ihre Mutter und ihr Bruder sind von den Nazis ermordet worden. Dem Nazi-Jargon zufolge bin ich ein Mischling ersten Grades, und vielleicht hätten wir alle nicht überlebt, wenn es neben den fürchterlichen Deutschen nicht auch die guten gegeben hätte, die uns versteckt und uns geholfen haben. Deshalb bin ich von allem Anfang an dankbar, in der Bundesrepublik leben zu dürfen, mit dem schönen Grundgesetz und den großartig konzipierten Institutionen, die Demokratie und Freiheit gewährleisten.

Und dennoch klagen gerade heute viele über staatliche Bevormundung . . .

Ich habe schon die 1968er nicht verstanden, die behauptet haben, die Bundesrepublik sei ein „faschistischer Staat“. Wer heute herumläuft und uns weismachen will, wir lebten in einer Diktatur, der hat keine Ahnung davon, was eine Diktatur wirklich ist. Wer jetzt von Diktatur spricht, weil er eine Maske tragen muss, der redet einfach gefährlichen Unsinn.

„Sie wirft Schlaglichter auf deutsche Neurosen und die Kapriolen des Zeitgeistes“, hieß es einmal über Sie. Was sind aktuell die schlimmsten Kapriolen?

Was mich wirklich umtreibt, ist die überzogene „Political Correctness“ in unserem Land. Das kommt aus den angelsächsischen Ländern und macht mir Angst. Hier beanspruchen Minderheiten, der Mehrheit vorzugeben, was sie zu denken, zu sagen und zu schreiben hat.

Woran konkret denken Sie dabei?

Solche Übertreibungen gibt es in der Metoo-Debatte, dem Umbenennungsfuror, den oft grotesken Sprachregelungen und nicht zuletzt dem Anspruch, gegenwärtige moralische Sichtweisen für allein seligmachend zu halten, und zwar für die Zukunft wie für die Vergangenheit. Mit der Folge, dass diese Saubermacher sogar Immanuel Kant und die Aufklärung in den Mülleimer der Geschichte werfen wollen oder ein Redlicher wie Thomas de Maizière nicht mehr aus seinem neuesten Buch vorlesen kann. Diese Ausschließeritis ist Gift für die Freiheit. Für mich gilt nach wie vor Rosa Luxemburgs Wort von der Freiheit, die immer die Freiheit des Andersdenkenden ist.

Sehen Sie den offenen Diskurs in Deutschland grundsätzlich gefährdet?

Ja. Unsere Freiheit ist gefährdet. Aber dieses Mal ist es eben nicht der Staat, der hier Zensur ausübt, vielmehr kommt die Intoleranz aus der Gesellschaft selbst. Man kann manches nicht mehr sagen, ohne in eine Ecke gestellt zu werden. Das Thema Migration zum Beispiel ist mit einem Tabu belegt. Da gibt es zwar große Probleme, über die man sprechen müsste, um beispielsweise Parallelgesellschaften zu verhindern. Aber das wird von nahezu allen Parteien am liebsten ignoriert oder beschönigt – mit der Konsequenz, dass ausgerechnet eine rechtsradikale Partei wie die AfD von dieser Gesprächsverweigerung profitiert. Leider gibt es auch viele Journalisten, die sich in ideologischen Denkweisen bewegen und dem Zeitgeist ergeben.

Was werden Sie künftig tun?

Klavier spielen, lesen, schreiben, Vorträge halten – und mich vor allem meinem Mann widmen.