Seit ihrer Dresdner Rede, in der sie die Reproduktionsmedizin geißelte, musste die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff viel Kritik einstecken. Die Vorstellung ihres Romans „Killmousky“ im Stuttgarter Literaturhaus nutzte sie zur Verteidigung.

Stuttgart - Eigentlich sollte Sibylle Lewitscharoff im Stuttgarter Literaturhaus ihren neuen Roman „Killmousky“ vorstellen. Doch spätestens wenn man beim Blick ins Publikum einen Besucher entdeckte, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Mein Sohn das Halbwesen“ trug, wurde man daran erinnert, dass die in Degerloch geborene Autorin und Büchnerpeisträgerin von 2013 jüngst nicht wegen ihres Kriminalromans in die Schlagzeilen geraten war. Das Zitat auf dem T-Shirt stammt aus einer Rede Lewitscharoffs im Dresdner Schauspielhaus vom vergangenen März, in der sie sich kritisch mit der Reproduktionsmedizin auseinandergesetzt und die im Reagenzglas gezeugten Kinder als „Halbwesen“ bezeichnet hatte.

 

Diese und einige andere Formulierungen der Rede hatten zu einem Sturm der Entrüstung in den Feuilletons geführt. Der Literaturkritiker Denis Scheck, der den Abend im Literaturhaus moderierte, hatte sich deshalb dafür entschieden, vor der Vorstellung des neuen Buchs der Debatte um diese Rede eine gute halbe Stunde Diskussionszeit einzuräumen. Lewitscharoff gab zu, dass sie mit dieser Empörung nicht gerechnet habe, sonst hätte sie womöglich „die Klappe gehalten“. Allerdings sei sie durchaus „tapfer im Nehmen“ und seit ihrer Schulzeit ein „alter Streithammel“, der schon mal den „Terrier raus lasse“, im Übrigen etwa – verglichen mit den Ausfällen des seligen Thomas Bernhard – eher ein „harmloses Mäuschen“.

Lewitscharoff plädiert dafür, Schicksalsschläge anzunehmen

Während Lewitscharoff sich von einigen Formulierungen der Rede längst distanziert hat, beharrte sie in der Sache selbst bei ihren in Dresden vorgetragenen Einwänden gegen die modernen Reproduktionstechniken. Denis Scheck kam ihr dabei zu Hilfe, indem er mit dem Stichwort der „Selbstoptimierung“ die kapitalismuskritische Stoßrichtung ihrer Dresdner Rede herauszuarbeiten versuchte. Das konnte Lewitscharoff bequem aufgreifen, gegen den modernen Trend zur Effizienzsteigerung und stattdessen für die Annahme von Schicksalsschlägen (wie beispielsweise Kinderlosigkeit) plädieren, weil das Schicksal auch eine entlastende Funktion habe.

Denis Scheck nahm die Debatte um die Dresdner Rede zum Anlass, die Rolle der Medien in diesem Fall zu beleuchten. Die hätten fünfzehn Jahre lang die Autorin in den Himmel gehoben, um sich jetzt in einem „Anfall von Kollektivirrsinn“ und „Pausenhofmentalität“ gegen sie zusammenzurotten, wie auch die laue Aufnahme ihres neuen Romans in den Feuilletons zeige. Sie sei durchaus für Schärfe in der Literaturkritik, bekannte Lewitscharoff, und könne fundierte Einwände vom Sadismus der „Schriftsteller-Lemuren“ unterscheiden, die sich jetzt an ihr das Mütchen kühlten, weil sie selbst den Büchnerpreis noch nicht erhalten hätten.

Damit war der spannendere Teil des Abends zu Ende; was sich daran anschloss, war eine klassische Buchpräsentation. Sibylle Lewitscharoff erzählte von ihrem Faible für Kriminalromane, besonders die amerikanischen Klassiker von Dashiell Hammett über Raymond Chandler bis zu Patricia Highsmith, deren Einfluss auf ihren Roman sie nicht abstritt. Darin treten die genreüblichen Personen auf: der amerikanische Millionär, das mit Sexappeal ausgestattete Biest und der verschrobene Privatdetektiv, der in „Killmousky“ aus der schwäbischen Provinz stammt. Ob diese Konstellation dem vertrauten Modell eine neue Perspektive hinzufügt, muss der Leser entscheiden. Lewitscharoff jedenfalls hat ihren nächsten Auftritt auf dem Katholikentag in Regensburg, wo es auch eher um die „Halbwesen“ aus der Retorte als um einen vertrottelten schwäbischen Privatdetektiv gehen dürfte.