Die gemeinsame Erklärung der Grünen in Regierungsverantwortung ist ein Kompromiss – aber mit Spielraum. Auch deshalb können der linke Flügel und die Realos der Partei damit gut leben.
Stuttgart - Mit der Erklärung der grünen Führungskräfte in den Ländern ist es wie mit Parteitagsbeschlüssen. Letztere bedürften der Hermeneutik, sagte Winfried Kretschmann schon, als er noch nicht Ministerpräsident war, aber mit seiner Partei nicht immer übereinstimmte.
Jetzt erklärt der grüne Ministerpräsident zusammen mit den acht stellvertretenden Ministerpräsidenten in den Ländern, „von der Idee, weitere Länder als sichere Herkunftsländer auszuweisen, sind wir nicht überzeugt.“ Die Linken in der Partei atmen auf. Oliver Hildenbrand, der Vorsitzende der baden-württembergischen Grünen, der dem linken Flügel zugeordnet wird, bewertet das als Abkehr vom Konzept der sicheren Herkunftsstaaten. Dieses betrachtet er ohnehin als „eine Erfindung kaltherziger Bürokraten und eine populistische Scheinlösung“. Hildenbrand bewertet das Papier als ein „klares Signal an die CDU und die Bundesregierung, es gibt keinen Dissens zwischen Grünen und keine parteipolitische Scheindiskussion“.
Kretschmann will Ergebnisse, nicht nur mehr Ärger
Hat Kretschmann aus Rücksicht auf parteipolitische Befindlichkeiten also einen Rückzieher gemacht? Immerhin hat sein Ja im Bundesrat es ermöglicht, dass im Herbst 2014 Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden. Das machte ihn zum Buhmann der Parteilinken. Seit Monaten betont der baden-württembergische Regierungschef jedoch, „eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten muss mehr bringen, als mir Ärger“. Noch sei nicht erwiesen, dass aus sicheren Herkunftsstaaten weniger Flüchtlinge kämen. In Baden-Württemberg sieht es nach Zahlen des Integrationsministeriums nicht danach aus. Die Zahlen schwanken stark, es könnte auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen, heißt es in Regierungskreisen. Aus dem Kosovo, den viele ebenfalls als sicher einstufen möchten, kamen dagegen in den vergangenen Monaten deutlich weniger Flüchtlinge als noch zu Jahresanfang.
Realos und Linke sind zufrieden
In dem Papier steht, „es wäre Symbolpolitik, weitere Länder zu sicheren Herkunftsländern erklären zu wollen, erst recht, solange die von der Ministerpräsidentenkonferenz einstimmig beschlossene und von der Bundesregierung zugesagte Evaluation die Wirksamkeit dieses Instrumentes nicht aufzeigt“. Skeptiker vermuten, die Evaluierung dauere so lange, weil die Botschaft eventuell nicht im Sinne der Regierung ausfallen könnte. Sollte es anders sein, ließe das Papier es jedoch durchaus zu, dass die Grünen in den Ländern einer Ausweitung der sicheren Herkunftsländer zustimmen. Die Erklärung sei durchaus auch eine Absage an die ideologische Verneinung der Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten, heißt es aus Regierungskreisen im Südwesten. Inzwischen kann Baden-Württemberg allein nicht mehr das Zünglein an der Waage sein, es müssten Grüne aus einem weiteren größeren oder zwei kleineren Ländern im Bundesrat für eine Ausweitung stimmen.
Trotz des Interpretationsspielraums loben Realos wie Linke im Südwesten, dass die grünen Regierungsmitglieder in dem Papier Populismus und Symbolpolitik eine Absage erteilen. Sie wollen „jegliche Maßnahmen an ihrem nachweisbaren und praktischen Nutzen messen“. Für Oliver Hildenbrand kommt das Papier zur rechten Zeit. Der Landeschef ist sicher, „es wird in der ganzen Breite der Partei auf große Zustimmung treffen.“