Eine Absage an Gewalt, aber auch an das DFL-Papier: Eine Art Appeasement-Politik soll nun Einzug halten, um die aufgeheizte Stimmung wieder auf eine der Sache dienliche Betriebstemperatur herunterzukühlen.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Benjamin Nagel hat aus der „Alten Försterei“ etwas Wichtiges mitgenommen: Hoffnung. Dort hatten sich auf Einladung des Fußball-Zweitligisten Union Berlin am Donnerstag Fanvertreter von 49 Vereinen getroffen, um über das heftig umstrittene Arbeitspapier „Sicheres Stadionerlebnis“ der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zu diskutieren. „Die Hoffnung ist wieder ein bisschen zurück“, sagt Nagel, der als Vertreter des Fanausschusses des VfB Stuttgart vor Ort war. Die Hoffnung der aktiven Szene nämlich, dass gemeinsam in einem sachlichen Dialog nach Lösungen in der Sicherheitsdebatte gesucht und Abstand von dem Inhalt des DFL-Konzepts genommen wird, das deutlich repressivere Maßnahmen im Fall von Verfehlungen vorsieht.

 

Der designierte DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig, der bei dem Treffen anwesend war, hat den Fans, die sich übergangen fühlen, Gesprächsbereitschaft signalisiert und Fehler der DFL eingeräumt. Dazu hat er alle Parteien zu einer „verbalen Abrüstung“ aufgefordert. Die in Berlin vertretenen Fans setzten dazu ein Zeichen mit einer Erklärung, die man in der Deutlichkeit so noch nicht lesen konnte.

Dort heißt es unter anderem: „Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung im Zusammenhang mit Fußballspielen lehnt der Fan-Gipfel selbstverständlich sowohl innerhalb als auch außerhalb von Fußballstadien strikt ab. Der Fan-Gipfel ruft alle Beteiligten dazu auf, gewalttätige Auseinandersetzungen zu vermeiden und Straftaten entgegenzuwirken.“ Neben anderem richten die Fans auch einen Appell an „Polizei, Fans und Politik, die Verantwortung zum Dialog anzunehmen und nicht vermeintliche Solidarität/Corpsgeist über Recht, Verein bzw. Vernunft zu stellen“, wie sie schreiben. Die DFL nannte die Erklärung gestern ein „wichtiges Zeichen“.

Doch andere kippen munter Öl hinterher

Sowohl DFL als auch die Fanvertreter sind um eine sachlichere Debatte bemüht. Eine Art Appeasement-Politik soll Einzug halten, um die nach Bekanntwerden des DFL-Papiers aufgeheizte Stimmung wieder auf eine der Sache dienliche Betriebstemperatur herunterzukühlen.

Doch andere kippen munter Öl hinterher. Einige wenige, gerne als „erlebnisorientierte Besucher“ bezeichnet, ein Euphemismus für „Krawalltouristen“, bereiten den Nährboden für repressive Konzepte. Vorfälle wie im Pokal in Hannover oder beim Revierderby haben den Scharfmachern aus Politik und Polizei in die Karten gespielt, die in regelmäßigen Abständen mit populistischen Forderungen die Debatte bereichern. Dabei sind die Stadien prinzipiell sicher, ein Besuch dort ist statistisch gesehen (Stand 2010/2011) etwa weniger gefährlich als der des Oktoberfests, wo es in diesem Jahr bei nicht mal halb so vielen Besuchern zehnmal so viele Verletzte (8400) gab wie in einer Fußballsaison der ersten und zweiten Liga mit 612 Partien. Die DFL spricht selbst von „objektiver“ und „subjektiver“ Wahrnehmung.

Der Ligaverband befindet sich – auch selbst verschuldet mit dem rechtlich umstrittenen und von vielen Clubs abgelehnten Konzept – in der wenig komfortablen Lage, die Interessen von Vereinen, Fans und einflussreichen Gruppen wie der Polizei und vor allem der Politik nun in ein Korsett pressen zu müssen. Was nun passiert, ist unklar – ob an dem Papier gefeilt und die eine oder andere Passage gestrichen wird oder ob es etwas ganz Neues geben wird.

Wie könnte eine alternative Lösung aussehen?

Der Stuttgarter Fanvertreter Benjamin Nagel sagt: „Die Angst ist immer noch da, dass das Papier mit kleinen Kompromissen beschlossen wird. Wir wollen aber, dass ein Schnitt gemacht wird, man sich zusammensetzt und neu diskutiert.“ Der VfB schlägt angesichts der komplexen Gemengelage vor, nicht um jeden Preis an dem anvisierten 12. Dezember festzuhalten, sondern sich die Zeit zu nehmen, die man eben brauche. Auf der DFL-Mitgliederversammlung soll laut Plan eigentlich über den Maßnahmenkatalog abgestimmt werden. Der Ligapräsident Reinhard Rauball will auch weiter an dem Termin festhalten.

Wie eine alternative Lösung aber aussehen könnte? Ist ein zentrales Rahmenkonzept womöglich gar der falsche Ansatz, um dem Fußballföderalismus in Deutschland mit seinen vielschichtigen und von Standort zu Standort verschiedenen Problemstellungen gerecht zu werden? Die DFL hat mit ihrem Papier auf eine Art Breitbandantibiotikum gesetzt. Ein Konzept mit möglichst großer   Streuung gegen alles. Doch so lassen sich die fraglos vorhandenen Konflikte kaum lösen – das zumindest glauben viele Experten. Auch die Fanvertreter fordern, die Vereine stärker in die Pflicht zu nehmen und dort einen „Dialog auf Augenhöhe“ zu etablieren.