Seit den Meldungen aus der Silvesternacht fühlen sich viele Bürger in Stuttgart nicht mehr sicher. Die Polizei hat deswegen mehr Kräfte für den Streifendienst am Bahnhof, in der Klett-Passage und im Schlossgarten eingeteilt.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Objektiv hat sich die Sicherheitslage nicht verschlechtert.“ Das sagt Thomas Hugendubel, der Sprecher des CDU-Kreisverbands. Und obwohl er das stellvertretend für seine Parteifreunde sagt, gab der Kreisverband am Freitag einen Sechs-Punkte-Plan für ein sicheres und gutes Zusammenleben in Stuttgart heraus (die StZ berichtete). „Geändert hat sich das Sicherheitsgefühl der Bürger“, erklärt Hugendubel. Dieses solle wieder so werden, wie es in Stuttgart vor zwei, drei Jahren mal gewesen ist. Deswegen fordern die Christdemokraten mehr Polizeipräsenz und stärkere Videoüberwachung.

 

Die Polizei hat bereits auf die Meldungen über das sinkende Sicherheitsgefühl der Bürger reagiert. Bundes- und Landespolizei haben den Streifendienst rund um den Hauptbahnhof, also auch in der Klett-Passage und im angrenzenden Anlagenbereich, verstärkt. „Wir haben auch gemeinsame Streifen eingeteilt, das hatten wir schon lange nicht mehr“, sagt Jonas Große, der Sprecher der Bundespolizei. Die Bundespolizei schicke am Nachmittag zwei Gruppen mit je zehn Beamten, an Wochenende einen ganzen Zug mit 30 Polizisten zusätzlich auf Streife. Die Landespolizei setze ebenfalls mehr Kräfte ein, sagt deren Sprecher Stefan Keilbach. Zahlen nennt er nicht. Die Präsenz führe dazu, dass „Personengruppen wie jene in der Silvesternacht nicht mehr am Bahnhof unterwegs sind“, sagt Große. Das bestätigt die Landespolizei für die Innenstadt. An Silvester tauchten am Schlossplatz und am Bahnhof Gruppen aggressiver Männer auf, sie wurden als Nordafrikaner und Araber beschrieben – eine Parallele zu Köln.

Klett-Passage und Schlossgarten stehen im Fokus

„Das Sicherheitsgefühl ist für die Wahrnehmung fast wichtiger als es die tatsächlichen Zahlen sind“, sagt Hermann Karpf, der Referent des Ordnungsbürgermeisters. Die Stadt stehe daher im engen Kontakt zur Polizei, um an sensiblen Stellen zu reagieren. Zurzeit sind dabei vor allem die Klett-Passage und der Schlossgarten im Fokus. Das hat seine Wurzeln auch in der Silvesternacht, als in der Innenstadt Frauen belästigt und einige Passanten bestohlen und beraubt worden waren. Die Täter gingen ähnlich vor wie jene in Köln. Aktuelle Zahlen über die Entwicklung der Lage in Stuttgart gibt es nicht, da die Polizei ihre Kriminalitätsstatistik für 2015 noch nicht veröffentlicht hat. Nach Informationen der StZ sind aber keine wesentlichen Veränderungen zum Vorjahr zu verzeichnen.

Doch die Silvesternacht und die Reaktion vieler Bürger hat nicht nur dazu geführt, dass die Polizei ihre Präsenz am Bahnhof verstärkt. Sie werde künftig „verstärkt und früher als bisher“ auf mobile Videoüberwachung setzen. Rechtlich ist das möglich, wenn in einer Menschenmenge Straftaten beobachtet werden oder eine Gruppe aggressiv auftritt. „Wir werden das künftig auch einsetzen, um zu dokumentieren, wie eine Situation sich entwickelt hat“, erläutert der Polizeisprecher Stefan Keilbach. Das sei eine Konsequenz aus den Ereignissen der Silvesternacht. In großen Menschenmengen sollen Videoaufnahmen helfen, Beweise zu dokumentieren.

Keine Diskussion „auf dem Rücken der Flüchtlinge“

Bei ihren Forderungen gehe es der CDU wiederum nicht darum, die Diskussion „auf dem Rücken der Flüchtlinge zu führen“, sagt deren Parteisprecher Hugendubel. Weil die Tatverdächtigen vom Schlossplatz als Nordafrikaner und Araber beschrieben wurden, werde aber schnell eine Verbindung zu den Asylsuchenden hergestellt.

So argumentieren auch die Fraktionen im Gemeinderat fast einhellig. „Man darf nicht naiv sein. Es gibt Flüchtlinge, die Straftaten begehen. Aber die Zahlen geben keinen Anlass zu denken, dass sie überproportional kriminell sind“, sagt Anna Deparnay-Grunenberg (Grüne). Dass sich die Bürger nach Silvester unsicher fühlten, habe sie wahrgenommen. „Man sieht aber jetzt mehr Polizei. Das verbessert das Sicherheitsgefühl.“ Er bekomme „Rückmeldungen, dass es Ängste gibt“, sagt der SPD-Fraktionschef Martin Körner. Jedoch sehe er auch, dass die Polizei präsenter sei. Für ihn ist das ein Ergebnis der Polizeireform des SPD-Innenministers Reinhold Gall. Im Gegensatz dazu sieht der AfD-Stadtrat Lothar Maier in der Polizeireform eine der Ursachen der Verunsicherung: „Die Reviere und Posten rücken immer weiter von den Menschen weg“, sagt er. Hinzu kämen die Angst vor Terror und Zwischenfälle wie die Übergriffe an Silvester und Angriffe auf Schüler des Katharinenstifts. „Es ist ein Gefühl der verstärkten Unsicherheit vorhanden“, so Lothar Maier. „Politik sollte sich nicht an Empfindungen, sondern an Fakten orientieren“, sagt Hannes Rockenbauch (SÖS-Linke-Plus). Die Forderung nach Polizeipräsenz hält er für richtig, die nach Überwachung für falsch. Ihm wäre es lieber, eine Debatte über soziale Infrastruktur einerseits und sexuelle Gewalt andererseits zu führen. Die Freien Wähler betonen, sie seien nicht grundsätzlich der Ansicht, dass mehr Polizei in der Stadt unterwegs sein muss. Wichtig sei der Kräfteeinsatz dann und dort, wo Gefahr droht – bei Menschenansammlungen zum Beispiel.