Wie löst man das Dilemma, einerseits dringend Wohnraum schaffen zu müssen, andererseits aber die Flächen-Versiegelung einzudämmen. Gerd Hager, Direktor des Regionalverbands Karlsruhe, schildert neue Ideen.

Karlsruhe - Erstmals untersuchten die zwölf Planungsverbände im Land in einer gemeinsamen Studie, wie genau sich die Städte und Gemeinden an die festgesetzten Werte zur Dichte der Wohnbebauung halten. Dazu wurden sämtliche Bebauungspläne der Jahre 2018 bis 2020 in 44 Stadt- und Landkreisen in Baden Württemberg unter die Lupe genommen. Ergebnis: Bei Einhaltung der Vorgaben könnte mit bestehenden Bebauungsplänen im Landesschnitt 13 Prozent mehr an Wohnraum geschaffen werden. Mit der Studie wolle man „einen breiten Diskurs“ auslösen bei den Städten und Gemeinden, sagt der amtierende Direktor des Verbands Karlsruhe, Gerd Hager.

 

Herr Hager, ist das konkret realisierbar?

Sagen wir so: die Ziele sind hochgesteckt. Aber wer etwas erreichen möchte, sollte die Trauben nicht zu niedrig hängen. Ob die Vorgaben erreicht werden, hängt von vielerlei Faktoren ab. Ich nenne nur die Lage der Bauwirtschaft. Finden Sie heute einmal einen Handwerker. Es muss auch Menschen geben, die das Häusle bauen…

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Gibt es nach Ihrer Kenntnis für Baden-Württemberg solche Zielsetzungen?

Wir benötigen neue Wohnungen in den Ballungsräumen, in den Schwarmstädten, in den Unistädten. Dort wird am Ende das Angebot immer zu gering sein. Wenn wir auf die Analysen für die Region um Karlsruhe schauen, dann dürfte aktuell eine Zahl von etwa 3500 neuen Wohnungen pro Jahr angemessen sein. Diese Zahl ist eine Richtgröße, ein Anhaltspunkt.

Auf Landesebene wurde auch die „Wohnraum-Allianz“ etabliert. Inzwischen ergänzt durch die neue „Wohnraumoffensive“. Was wurde da an Zielen formuliert?

Das Ziel war gestern wie heute: Mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen. Ein Monitoring der Erfolgsfaktoren liegt bisher nicht vor. Die Wohnraum-Allianz stammt aus der letzten Legislaturperiode, die im Koalitionsvertrag initiierte Wohnraumoffensive bleibt noch Zukunftsmusik. Erkennbar ist heute, dass in dieser Zeit die Fördermittel für den Wohnungsbau im Land deutlich in die Höhe gingen und die Gemeinden mehr Bebauungspläne beschlossen haben.

Die zwölf Regionalverbände im Land haben ein Siedlungsdichte-Monitoring vorgelegt. Um was geht es da?

Die Idee war, dass künftig möglichst entsprechend den Vorgaben der Regionalplanung zur Siedlungsdichte geplant und gebaut wird. Wir wollen Flächen sparen, trotz und teilweise gegenläufig zu dem wachsenden Bedarf an Wohnraum. Deshalb haben wir sämtliche Bebauungspläne der letzten drei Jahre (2018 bis 2020) landesweit durchgesehen, wie sie von den Gemeinden gestaltet werden und welche Vorgaben sie für verdichtetes Bauen enthalten. Wir wollten wissen, wie mit dem knappen Gut Fläche umgegangen wird.

Was hat die Studie an Ergebnissen gebracht?

Tatsächlich finden sich Unterschiede zwischen den Ballungszentren und dem ländlichen Raum. Natürlich sind die Siedlungsdichten in Stuttgart-Mitte höher als draußen in einem kleinen Weiler im Schwarzwald. Die Regionalverbände haben einen Dichtemaßstab gesetzt, einen Referenzwert, den wir mit den Plänen verglichen haben.

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Mit welchem konkreten Ziel?

Wir wollten erkennen, welche positiven Effekte für den Wohnungsmarkt entstehen, wenn die Gemeinden vor Ort Pläne mit mehr Dichte wagen, das heißt, wenn mehr Wohnungen auf gleicher Fläche gebaut werden müssten. Gleichzeitig können wir ablesen, wie viel Hektar Fläche dadurch an Freiraum bleiben. Wir verfolgen zwei Interessen, die sich allerdings beißen: Mehr Wohnraum schaffen und gleichzeitig weniger Fläche verbrauchen – ein echter Zielkonflikt.

Haben Sie da auch konkrete Zahlen herausgelesen?

Durch unsere Studie können wir erstmals exakt nachvollziehen, welche Effekte entstehen, wenn an der „Dichteschraube“ gedreht wird. Durch die Zahlen stehen Grundlagen für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs bereit. Es geht nicht darum, einzelne Planungsträger vorzuführen. Wir wollen niemand an den Flächenpranger stellen. Die Zahlen sind hochaggregiert auf Regionsebene, bleiben aussagekräftig. Die Region um Karlsruhe steht bei der Untersuchung mit an der Spitze – sowie auch etwa der Verband Region Stuttgart, der größte regionale Planungsträger im Land. Gründe dafür sind in beiden Fällen nicht alleine die planerischen Anstrengungen, hinzu kommt der Marktdruck, die große Nachfrage in den dicht bevölkerten Räumen.

Die Studie sagt aus, dass die Bruttowohndichte in den zwölf Regionen im Land zwischen 44 und 93 Einwohner pro Hektar variiert. Was folgt daraus?

Wenn alle Beteiligten die bereits bestehenden Dichtewerte einhalten, könnten – auf Landesebene gesehen – pro Jahr 13 Prozent mehr Wohnungen entstehen, ohne neue Flächeninanspruchnahme. In Zahlen: Über die 180 000 Menschen hinaus, für die mit den neuen Bebauungsplänen Wohnraum entsteht, könnten weitere 24 000 Personen versorgt werden, ohne dass nur ein weiterer Quadratmeter Boden versiegelt wird. Damit ist das Potenzial erkennbar, das in vorhandenen Dichtewerten steckt.

Hat die Diskussion schon begonnen?

Die wichtigste Botschaft: Im Wohnungsbau gibt es noch einiges zu tun, in der Dichte steckt ein beachtliches Potenzial. Vor dem Hintergrund der Studie können die kommunale und die regionale Politik nun rationaler diskutieren, ob und in welchem Umfang mehr Verbindlichkeit bei den Dichtevorgaben für mehr Wohnraum sorgt.