München - In Momenten wie diesen wird klar, warum virtuelle Aktionärstreffen ein Notnagel sind. Ohne Pandemie stünde Aktionärsvertreterin Daniela Bergdolt jetzt in einer gefüllten Olympiahalle in München. „Die Ära Kaeser geht zu Ende“, würde sie sagen und dem in Teilruhestand gehenden Manager erfolgreiche Arbeit bescheinigen. „Sie hatten eine Vision für Siemens und haben diese durchgesetzt“, lobt sie nun stattdessen virtuell.
In der aktuellen Coronarealität verbringt der als Josef Käser geborene Niederbayer, der nach einem US-Einsatz für Siemens zu Joe Kaeser wurde, seine letzten Stunden als Konzernchef mit ein paar Kollegen ohne die von ihm geschätzte große Bühne. „Ich freue mich auf den heutigen Tag und auch auf morgen“, bekennt er zwei Stunden vor Beginn der Online-Veranstaltung bei einer letzten Pressekonferenz als Siemens-Chef.
Sein Nachfolger Roland Busch hat einen guten Start
Zuletzt hätten sich die Dinge mit Blick auf ein fulminantes Auftaktquartal des Geschäftsjahrs 2020/21 (zum 30. September) trotz Pandemie unerwartet gut entwickelt, sagt Kaeser. Wer es schafft, operative Gewinne von Oktober bis Dezember 2020 um fast 40 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro zu hieven, müsse etwas richtig gemacht haben, lobt er das Team Siemens und sich selbst.
Das erste Quartal verantwortet hat allerdings bereits Roland Busch, der mit dem Ende der Hauptversammlung in Kaesers Fußstapfen tritt und von einem „außerordentlich guten Start“ spricht. Das gilt für das Unternehmen und auch für ihn. Man habe jede Gelegenheit genutzt, die sich geboten habe, sagt Busch. In China und Deutschland seien die Geschäfte besser gelaufen als erwartet. Einige Branchen, etwa Automobil und Maschinenbau, hätten sich deutlich schneller erholt. „Den Boom in diesen margenträchtigen Geschäften sehen Sie heute im Ertrag.“
Kaesers Weste bei Siemens hat auch Flecken
Wenn Kaesers Wirken für etwas steht, dann die Dreiteilung des gut 170 Jahre alten Konzerns in die Abspaltungen Siemens Healthineers mit höchstprofitabler Medizintechnik und Siemens Energy mit dem kriselnden Kraftwerksgeschäft, das gerade 7800 Jobs streicht. Am Ende könnten alle drei Siemens-Konzerne, die addiert auf 190 Milliarden Euro Börsenwert kommen, im Dax notieren. Bei Siemens Energy mischt Kaeser, Sohn einer Friseurin und eines Mechanikers, als Aufsichtsratschef weiter mit. Auch beim Autobauer Daimler bleibt Kaeser Aufseher.
Zu den Flecken auf der Weste Kaesers zählt der milliardenschwere Fehleinkauf des US-Konzerns Dresser-Rand, einem Zulieferer der Öl- und Gasindustrie oder auch das Schicksal von Osram. Der einst zu Siemens zählende Lichttechnikkonzern ist gerade unter dem Dach des kleineren Sensorherstellers AMS verschwunden.
Kaeser legte sich oft mit der AfD an
„Siemens bleibt in der fossilen Vergangenheit verhaftet“, finden kritische Aktionäre unvermindert mit Blick auf das Energiegeschäft. In unguter Erinnerung bleibt ein Treffen mit Wladimir Putin 2014, wo er die Annexion der Krim als „kurzfristige Turbulenz“ verharmlost hat.
Andererseits hat sich Kaeser als betont politischer Manager mit der AfD angelegt und China zum Vorgehen in Hongkong kritisiert wie sonst kein anderer Manager. „Zahlen veralten schnell, das Eintreten gegen Nationalismus, Ausgrenzung und Rassismus bleibt“, unterstreicht Kaeser seine Haltung noch einmal an seinem letzten Arbeitstag für Siemens. „Wegducken war noch nie ein probates Mittel“, findet er und sorgt sich über Spaltung der Gesellschaft sowie Kasinokapitalismus.
Der erste geordnete Übergang bei Siemens seit 15 Jahren
In der Ära Kaeser wurden aber auch viele Jobs bei Siemens abgebaut. Wenn es ans Zerlegen und Abstoßen ging, ähnelte sein Tun oft dem eines Portfoliomanagers. Beruhigt, wie er es 2013 zu Amtsantritt als Siemens-Boss versprochen hatte, hat Kaeser den Konzern nicht – eher das Gegenteil. Dafür ist unter ihm der erste geordnete Übergang an einen neuen Siemens-Vorstandschef seit 15 Jahren geglückt. Bei den Abgängen von Klaus Kleinfeld und Peter Löscher hatte es erheblich gekracht.
Der 56-jährige Nachfolger Busch sei einer, der mehr vom mittlerweile vor allem digitalen Siemens-Geschäft versteht als er selbst, und damit der bessere Chef, räumt Kaeser ein. „Siemens verabschiedet eine seiner größten Führungspersönlichkeiten“, lobt Oberaufseher Jim Hagemann Snabe. Kurz danach flimmert ein Porträtfilm mit dem Titel „Servus Joe“ über die Monitore. „Ich habe fertig“, sagt Joe Kaeser dann noch zum Abschied.