Nach mehreren Misserfolgen mehren sich Zweifel, ob Peter Löscher noch der richtige Vorstandschef ist.

Stuttgart - Pressekonferenzen großer Dax-Konzerne folgen Ritualen. Nach dem offiziellen Teil bildet sich eine Traube wissbegieriger Menschen um die wichtigste Person. So ist das auch beim Münchner Technologieriesen Siemens. Die Traube gruppierte sich dort zuletzt aber um Finanzchef Joe Kaeser. Peter Löscher, Vorstandschef des Konzerns, steht zunehmend abseits, was man durchaus symbolisch sehen darf. „Löscher ist in der Gunst von Investoren und Analysten gefallen“, sagt einer aus deren Reihen.

 

Als der 55-Jährige 2007 als erster Konzernfremder an die Spitze des Traditionsunternehmens kam, war das noch ganz anders. Schon sein Name war Programm, es galt den Brand eines Korruptionsskandals zu löschen. Nun welkt der Lorbeer von gestern. Im Juli hat der Österreicher in München seinen zweiten Fünfjahresvertrag unterschrieben. Vieles spricht dafür, dass es die härtere Periode wird und das, obwohl 2007 eine Herkulesaufgabe vor dem gebürtigen Kärntner lag. Löscher hat Siemens nach dem Korruptionsskandal wieder salonfähig gemacht, den Konzern aus dem Imagetief geholt, ein Sparprogramm aufgelegt, rund 13 000 Stellen gestrichen und das Haus in der Rendite auf Augenhöhe mit dem ewigen Rivalen General Electric (GE) gebracht. Unkenrufe, ein Außenstehender habe im Geflecht traditioneller Siemens-Seilschaften keine Chance, verstummten spätestens, als Löscher diese Seilschaften in weiten Teilen zerschlug und eine ganze Managementebene strich. Alles Vergangenheit. Nun liegt die Siemens-Rendite wieder ungefähr dort, wo sie 2007 war. Ein neues Sparprogramm ist fällig, das stolze sechs Milliarden Euro bringen soll. GE und auch andere Konkurrenten blicken mittlerweile wieder auf Siemens herunter.

Renditeschwäche

Löschers Sündenregister ist zuletzt mindestens so lang geworden wie die Liste seiner Anfangserfolge. Die aktuelle Renditeschwäche ist nirgends so groß wie im von Löscher neu geschaffenen Sektor Infrastruktur und Städte. Gerade sechs Prozent Umsatzrendite lieferte der zuletzt. Das Doppelte ist das konzernweite Ziel bis 2014. Analysten der Deutschen Bank haben die Umgruppierung bestehender Geschäfte in den neuen Sektor von Anfang an als unnötig und kostenintensiv angesehen. Auch Löschers grüne Träume gedeihen nicht. Er wollte die Energiewende nutzen und dafür Infrastruktur liefern. Gerade die dafür verantwortlichen Bereiche laufen aber schlecht. Die höheren Renditen liefern die traditionellen Bereiche Industrie und Medizintechnik. Symbolträchtig ist der schmachvolle Ausstieg aus der Solartechnologie, begleitet von Verlusten in der Höhe von 800 Millionen Euro. Zukäufe floppten. Siemens beendet demnächst die Mitgliedschaft im Wüstenstromprojekt Desertec. Chinesische Konzerne stehen dort dagegen vor der Tür.

Damit ist die Reihe von Misserfolgen nicht beendet. Andere haben selbst in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten einen Börsengang hinbekommen. Siemens muss seine Lichttochter Osram im Januar den Aktionären bei der Hauptversammlung als Sonderdividende anbieten und hoffen, dass sie das Angebot auch annehmen. Schwerer wiegt, dass der Technologiekonzern seine Technologie nicht mehr im Griff hat. Das zeigen deutlich verzögerte Auslieferungen des Zuges ICE und die gefloppte Anbindung von Nordseewindparks ans Stromnetz. Im ICE-Fall hat Löscher sogar sein Wort gebrochen, weil er fristgerechte Lieferung versprochen hatte. „Die alte Siemens-Krankheit taucht wieder auf“, kommentiert ein Analyst Sonderlasten in Folge von Großprojekten, die aus dem Ruder gelaufen sind. Finanzexperten der Deutschen Bank fordern, dass sich Siemens auf wenige Kernaktivitäten konzentrieren müsse. An der Börse kommt Löschers Schlingerkurs nicht gut an. Analysten sehen die Aktie bei 65 Euro – derzeit ist sie knapp 15 Euro teurer. Als der Vorstandschef 2007 kam, kostete das Papier mehr als 100 Euro.

Am schlimmsten sei es aber, dass die Siemens-Führung unter Löscher die Konjunkturentwicklung falsch eingeschätzt habe, kritisiert Markus Friebel vom Analysehaus Independent Research. Seit Anfang 2011 ließ Löscher gut 20 000 Stellen aufbauen, in neue Produkte sind acht Milliarden Euro geflossen, um das Wachstum zu beschleunigen. Der Konzern muss jetzt verspätet die Bremse ziehen.

Löscher muss nun liefern, glauben Insider

Bei all dem sieht es für Löscher selbst finanziell gut aus. Der Vorstandschef erhielt im Geschäftsjahr 2011/2012 (Ende September) 7,87 Millionen Euro. Im Vergleich zum vergangenen Geschäftsjahr sind das allerdings rund 870 000 Euro weniger, wie aus dem Bericht an die US-Börsenaufsicht SEC hervorgeht. Löscher bekam danach ein Jahresgrundgehalt von zwei Millionen Euro. Der Rest waren an Zielen orientierte Sonderzahlungen, die in bar sowie in Aktien ausbezahlt wurden.

Dass Löscher bald abgelöst wird, glauben Konzerninsider und Analysten trotzdem nicht – noch nicht. Aber er müsse nun liefern, heißt es. Das auf 2014 zielende Renditeprogramm müsse glücken, das sei das Minimum. Neue Verlustquellen oder imageschädigende Flops dürfe es in nächster Zeit auch nicht mehr geben. Wenn Löscher die Wende gelingt, stehe er als Held da. Andernfalls müsse jemand von innen übernehmen, der Siemens genau kennt. Solche Töne hat man in München schon lange nicht mehr gehört.