Belarus, Lukaschenko, Putin, SPD, ÖVP-Affäre – was klingt wie ein wilder Ritt beim politischen Kneipenstammtisch, fügt sich beim ZDF-Talk mit Markus Lanz zu einem gelungenen Gesamtbild zusammen. Fast zumindest.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Hamburg - Kein Wort wurde am Dienstagabend beim ZDF-Talk „Markus Lanz“ über Corona verloren, kein Virologe war eingeladen. Dafür der ehemalige SPD-Politiker Sigmar Gabriel, zwei Journalisten und ein weiterer Politikexperte. Es ging um den Blogger Roman Protassewitsch in Belarus, den Zustand der SPD und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der gerade wegen Ermittlungen gegen ihn unter Druck steht – ein auf den ersten Blick wilder Themenmix. Zwei Themen hatten mehr miteinander zu tun, als man vielleicht zunächst meinen möchte. Das dritte wirkte da etwas verloren.

 

Lanz eröffnete die Runde mit der großen Weltpolitik, Belarus. Gabriel nannte das Gebaren des häufig als „letzten Diktator Europas“ bezeichneten Alexander Lukaschenko eine „Machtdemonstration in Europa gegenüber allen Oppositionellen: Egal wo ihr seid, wir kriegen euch.“ Der aus Minsk zugeschaltete Osteuropa-Experte Jakob Wöllenstein, dort für die Konrad-Adenauer-Stiftung tätig, sezierte noch einmal den Vorfall, als der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko eine Passagiermaschine in seinem Luftraum zur Landung brachte, wobei am Boden der oppositionelle Blogger Roman Protassewitsch, dessen Freundin und weitere Personen festgenommen wurden.

Plus: Wer ist Roman Protassewitsch?

Die Kurzform: Das von Protassewitsch betriebene Portal Nexta galt als wichtigster Informationskanal während der Proteste gegen den Präsidenten im vergangenen Jahr. Als offiziellen Grund für die Operation, das Flugzeug zur Landung zu zwingen, nannte Belarus Regierung einen geplanten Anschlag der radikalislamischen Hamas, der Vilnius – der Hauptstadt Litauens – gegolten habe. Eine Darstellung, die alle Talkgäste als hanebüchenen Vorschub abtaten, um die unliebsamen Oppositionellen festnehmen zu können.

„Ein Nordkorea in Europa“

Sigmar Gabriel beschrieb frühere persönliche Treffen mit Alexander Lukaschenko. Seiner Einschätzung nach befinde der sich „mit dem Rücken zur Wand.“ Welche Rolle Putin spielt, fragte Markus Lanz in die Runde. Wöllenstein beschrieb das Verhältnis Lukaschenkos zu Russlands Machthaber als ambivalent. Nach einer Phase der Abkapselung folge jetzt wieder eine Annäherung an Russland – auch, um sich die Unterstützung starker prorussischer Kräfte im Land zu sichern. Der „Spiegel“-Reporter Markus Feldenkirchen ergänzte: „Seit letztem Sommer ist Lukaschenko komplett von Putin abhängig.“ Mit Blick auf Vorwürfe, dass Foltergefängnisse in Belarus betrieben würden, sagte Feldenkirchen: „Das erinnert an ein Nordkorea in Europa“

Markus Lanz zitierte Gabriel, der einmal zu Außenwahrnehmung der Europäischen Union in den osteuropäischen Ländern gesagt haben soll: „Die EU gilt als reich, aber schwach.“ Daran hat sich aus Sicht des ehemaligen SPD-Politikers nicht viel geändert. Zu uneinig trete die Staatengemeinschaft bis heute auf. Markus Feldenkirchen hält drastische Schritte für nötig: Den Eliten in Belarus müsse man es unbequem machen, ihre Privilegien in Europa jenseits ihres Landes wegnehmen, gegebenenfalls Konten einfrieren. „Wirtschaftssanktionen bringen wenig“ – die würden nur die arme Bevölkerung treffen.

Sigmar Gabriel ist etwas vorsichtiger, sich in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Auch Altkanzler Gerhard Schröder, der aufgrund seiner Verbindungen zu Wladimir Putin wieder im Gespräch ist, nahm er in Schutz. Schröder, der heute für den russischen Staatskonzern Gazprom tätig ist, habe beispielsweise in der Ukraine-Krise vermittelnd gewirkt. Wo der Talk zum nächsten Tagesordnungspunkt übergeleitet wäre: Den Zustand der SPD und das Schröder-Erbe, das jetzt wieder in den Fokus rückt.

Schröder der SPD einen Bärendienst erwiesen

„Altkanzler Schröder hat seiner Partei einen Bärendienst erwiesen“, sagte Feldenkirchen zu dessen Nähe zu Putin und Russland. „Soll man jetzt Gerhard Schröder anrufen, wenn Lukaschenko ein Flugzeug zur Landung zwingt? Das ist absurd“, sagte Sigmar Gabriel. Und: „Ich glaube nicht, dass das Verhältnis von Gerhard Schröder zu Wladimir Putin verantwortlich für den Zustand der SPD ist.“ Feldenkirchen konterte: „Es ist Schröder doch scheißegal, welche Rückwirkungen das auf den aktuellen Wahlkampf der SPD hat.“ Sigmar Gabriel: „Mir auch.“ Es gehe jetzt nicht sosehr um die Sozialdemokraten, sondern um den Zustand der Welt, der immer schlechter werde.

„Es galt mal als große Strategie Nixons, dass Russland nur noch mit Mao Zedong zusammenarbeiten kann“, sagte Gabriel, „das ist nicht unser Interesse.“ Europa sitze zwischen den USA auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite in einer „sehr unbequemen Lage.“ Klar seien die Vereinigten Staaten Deutschland als Demokratie viel näher, dennoch rechnet Gabriel damit, dass „uns das Thema mindestens die nächsten zehn Jahre“ sehr beschäftigen werde.

Als das Stichwort Selbstbewusstsein fiel, hakte Talkmaster Markus Lanz ein: „Ich versuche verzweifelt, zu Olaf Scholz zu kommen.“ Feldenkirchen gab direkt eine Einschätzung ab, was der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für einen Kanzler abgeben würde: „Wie ich ihn kennengelernt habe, bringt er zwar die Sturheit, aber nicht die Freude an Konflikten mit, für Menschenrechte im Ausland einzustehen.“ Gabriel waren zu Scholz keine allzu spannenden Worte zu entlocken, er halte ihn „für einen geeigneten Kandidaten“, sagte er trocken. Stattdessen wollte der ehemalige Wirtschafts- und Umweltminister lieber weiter übers große Ganze reden: „Die Deutschen unterschätzen sich, was ihr Gewicht in der Welt angeht.“

Kernproblem der SPD: die Akademisierung

Lanz wollte aber zurück zur Bundestagswahl. Wie er es finde, wie sich die Union in den letzten Monaten zerlegt habe. Gabriel musste lachen. Ob ihm die Frage gefalle, fragte Lanz. Gabriel verneinte zwar, bekam aber sein Grinsen nicht ganz aus dem Gesicht, als er über die holprige Kanzlerkandidatenfindung, die zu Armin Laschet führte, sprach. Das Kernproblem seiner eigenen Partei, die ebenfalls weiter schwache Umfragewerte hat, sieht er in der Akademisierung der Sozialdemokraten. „Debatten, wie die über die Identitätspolitik innerhalb der Parteiführung“, das hätte man früher in der SPD nicht mal verstanden.

Plus: Hat Olaf Scholz das Zeug zum Kanzler?

Die kleine Alpenrepublik Österreich kippte gegen Ende der Sendung zwischen weltpolitischen Machtblöcken etwas herunter. Der junge Kanzler Sebastian Kurz, analysierte die österreichische Moderatorin Corinna Milborn, habe vor allem dadurch Erfolg gehabt, die Leute abzuholen, die sich kulturell abgehängt fühlten. Ein Ansatz für die SPD? Jetzt steckt Kurz aber erst mal selbst in der Klemme: Seine Partei, die ÖVP, steht aktuell im Fokus eines Untersuchungsausschusses und der Staatsanwaltschaft, da es Probleme mit Staatsbeteiligungen gibt. In diesem Kontext sind auch SMS-Chatverläufe öffentlich geworden, die Milborn einsehen konnte. „Sehr viele Emojis – ich wollte eigentlich nicht so tief reinsehen, wie die Macht funktioniert“, sagte sie. Zumindest in Österreich. Aber wer weiß: Vielleicht schickt auch Putin Zwinkersmileys an Lukaschenko.