Sigmar Gabriel hat die Vorratsdatenspeicherung durchgesetzt und könnte als Gewinner dastehen. Doch durch sein taktloses Verhalten hat er Justizminister Heiko Maas gedemütigt und sich in der SPD neue Feinde gemacht. Eine Analyse.

Stuttgart - Es gibt Siege, bei denen der Gewinner der Verlierer ist. Nach einem gewissen Pyrrhus sind diese benannt, einem König, der 279 vor Christus nach einem Sieg über die Römer wegen der hohen eigenen Verluste gesagt haben soll: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel ist ein solches Kunststück am Samstag auf einem kleinen Parteitag ebenfalls gelungen, wenn auch immerhin ohne Blutvergießen und historisch betrachtet in deutlich kleinerem Maßstab. Er setzte zwar die Vorratsdatenspeicherung durch, verlor aber weiter an Rückhalt in der Partei. Die ohnehin schon beachtliche Zahl derer, die den Moment herbeisehnen, in dem eine Alternative zu Gabriel erkennbar ist, sei größer geworden, sagte ein Mitglied des Parteivorstands nach dem Konvent, fügte jedoch sogleich hinzu: „Aber wir haben zurzeit einfach keinen anderen, der es kann und machen will.“

 

Gabriel ist nicht in der Lage, ein dauerhaftes Wir-Gefühl zu schaffen, nicht im Willy-Brandt-Haus, nicht in der Fraktion, nicht in der Partei. Nur in seinen großartigen Reden gelingt ihm das mitunter, wenn er mit bundesweit konkurrenzloser Rhetorik den großen Geist der Sozialdemokratie beschwört. Da wirkt er mit sich im Reinen, und die SPD besteht aus seiner Sicht für diesen Moment aus ihm allein. Das würde ihm so passen.

Gabriel ist noch unberechenbarer als seine Vorgänger

So funktioniert diese Partei aber nicht. Er weiß das auch. Nach der verheerenden Wahlniederlage 2009 ist er aus diesem Grund als Vorsitzender angetreten mit dem Versprechen, unter seiner Führung werde Schluss sein mit der Basta-Politik der Herren Schröder und Müntefering. Die Partei sollte atmen, mitmachen, diskutieren können. Was wurde da, in Erwartung einer neuen Zeit, in der SPD gejubelt.

Alles Schnee von gestern. Als Vizekanzler regiert Gabriel so rigoros wie die Altvorderen der Agenda-Zeit. In zwei Punkten ist er ihnen sogar voraus. Er ist noch unberechenbarer. Und er vermag es – wie in diesem Fall Justizminister Heiko Maas – selbst jene zu demütigen, die ihm aus der Patsche helfen. Es ist deshalb weniger das knappe Ergebnis, das Gabriel und mit ihm die ganze Partei schwächt. Es ist die Art und Weise, wie er es vorbereitet und am Ende kommentiert hat. Dass er Kritikern über seine Generalsekretärin vorwerfen ließ, sie würden die Regierungsfähigkeit aufs Spiel setzen, war noch das geringste Problem.

Wieder einmal hat er einer Laune nachgeben, ohne jene vorzubereiten, die von seinen Entscheidungen betroffen sind. Nach den Anschlägen auf das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ erschien ihm der Widerstand seines Justizministers gegen die Vorratsdatenspeicherung zu riskant. Anstatt aber mit Maas eine Strategie zu entwerfen, wie dieser gesichtswahrend den Kurswechsel einleiten könnte, erteilte Gabriel ihm in einem Hörfunkinterview völlig unvorbereitet den Marschbefehl.

„Man muss halt auch gewinnen können“

Der Gedemütigte blieb loyal und arbeitete mit Innenminister Thomas de Maizière einen Entwurf aus. Gabriel beließ es aber nicht dabei, sondern legte nach. Auf einer Parteiveranstaltung witzelte er: „Selbst aus Heiko Maas wird aus meiner Sicht noch ein anständiger Innere-Sicherheits-Politiker.“ Er empfahl seinem Justizminister außerdem, in Zukunft mal die Parteitagsbeschlüsse besser zu studieren – 2011 hatte die SPD die Vorratsdatenspeicherung mit knapper Mehrheit beschlossen. Schließlich die Krönung auf der Pressekonferenz nach dem Konvent, als er eine ausdrücklich an Maas gerichtete Frage mit dem Hinweis an sich zog: „Sie wollen die Frage doch beantwortet haben, oder?“ Als sei Maas dazu nicht in der Lage.

Dazu muss man wissen, dass nach Meinung aller, die zuvor bei der geschlossenen Veranstaltung dabei waren, der flügelübergreifend beliebte Maas mit einer ruhigen Rede die Stimmung zu Gunsten der Parteispitze drehte und damit Gabriel eine Regierungskrise ersparte. Ein frustrierter Genosse kommentierte deshalb die anschließende Rüpelei angesichts des Gabriel genehmen Ergebnisses mit bitterer Ironie: „Man muss halt auch gewinnen können.“

Die ohnehin schon lange Liste derer, die Gabriel als Parteichef eher ertragen als unterstützen, wird länger, und es ist bezeichnend, dass es als kluger Schachzug des Parteichefs gewertet wurde, dass er in der Debatte bis auf einen kurzen Einwurf schwieg und alles weitere Maas überließ. Am Ende wollte man, so die einhellige Meinung, nicht etwa Gabriel stützen, sondern Maas nicht schaden.

Gabriels populistische Ausflüge

Es ist nicht nur Gabriels Vorgehen im Streit über die Vorratsdatenspeicherung, das viele erbost. Es ist auch sein Hang zu Ausflügen in Bereiche, die in der SPD als populistisch empfunden werden. Damit hat er schon im Januar die Partei zum Kochen gebracht, als er auf einer Veranstaltung mit Pegida-Anhängern diskutierte.

Diesmal erzürnte viele ein Namensbeitrag in der „Bild-Zeitung“, in dem er wissen ließ: „Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“ Auf dem Konvent wurde er deshalb direkt angegriffen. Populismus müsse vor der Tür des Willy-Brandt-Hauses enden, sagte ein Europaabgeordneter. Gabriel war erbost. Wer die Stimmung im Lande nicht aufgreife, sorge erst recht für die Verbreitung von Ressentiments, so der Parteichef, der bereits in der Fraktion wegen des Beitrags gescholten worden war.

Gabriel hat, soviel ist klar, selbst sein kurzes Zwischenhoch beendet, das ihm sein gegen Merkel gerichteter Kurs in der NSA-Affäre einbrachte. Die Partei fühlt sich daran erinnerte, dass die Lernfähigkeit ab einem gewissen Alter angeblich erheblich abnimmt.Und dass Gabriel dieses Alter deutlich überschritten hat.