Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel ist von SPD-Chef Martin Schulz vorerst kalt gestellt worden – an den Sondierungen mit der Union nimmt er nicht teil. Umso aktiver meldet sich Gabriel derzeit zu Wort.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Je näher die Verhandlungen von Union und SPD rücken, desto mehr schiebt sich ein Mann nach vorne, der wohl gerne dabei wäre – aber nicht dabei sein darf: Sigmar Gabriel. Im zwölfköpfigen Sondierungsteam der SPD ist für den früheren Chef kein Platz. Doch meldet sich er fast täglich mit Forderungen und Ratschlägen zu Wort. Gabriel liebt ohnehin das Zusammenspiel mit ausgewählten Medien, seit einigen Wochen jedoch spielt er lustvoller auf dieser Klaviatur als je zuvor.

 

Mit symbolhaften Auftritten wie kurz vor Weihnachten am Hindukusch oder wortstarken Einlassungen beackert er Konfliktherde wie Afghanistan, die Ukraine, die Türkei oder das transatlantische Verhältnis – intensiv begleitet über die sozialen Netzwerke. Laut dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend ist der geschäftsführende Außenminister und Noch-Vizekanzler zum beliebtesten Politiker aufgestiegen. Da überrascht es nicht, dass er Gefallen sein Amt gerne behalten würde. Das Problem: er benimmt sich auch wie ein Neben-Parteivorsitzender.

Muntere Einmischung in den Koalitionspoker

Wohl aus Eigennutz, aber auch aus Sympathie für die einst von ihm initiierte große Koalition mischt sich Gabriel in den Sondierungspoker ein, indem er etwa die Neuauflage von Schwarz-Rot von einer Verständigung auf EU-Reformen sowie von Veränderungen der Krankenversicherung in Richtung Bürgerversicherung abhängig macht. Ultimative Forderungen zu stellen, ist jedoch nicht seine Aufgabe. Immer neue rote Linien, die von munter durcheinander redenden Sozialdemokraten gezogen werden, erschweren die Kompromissfindung.

Zu allen möglichen Themen äußert Gabriel derzeit seine Meinung – zum Teil gehört dies zu seinem Alltagsgeschäft, vielfach ist er aber nicht der erste Ansprechpartner. Er schlägt Prämien für die Kommunen zur Aufnahme von Flüchtlingen vor. Und er mahnt die Genossen, sich auch der Begriffe „Heimat“ und „Leitkultur“ anzunehmen, um den Rechtspopulismus in den Griff zu bekommen und die Abwanderung von SPD-Wählern zu stoppen. Und er prangert grundsätzliche Fehlsteuerungen an. Da fragt sich doch, was Gabriel selbst noch als Parteivorsitzender getan hat, um dem entgegenzuwirken.

Früheren Andeutungen zufolge hatte er sich schon damit abgefunden, in die zweite Reihe zurückzutreten. Nun nutzt er wie kein anderer geschäftsführender SPD-Minister die lange Übergangsphase, um den Genossen die Vorteile eines Regierungsamtes vor Augen zu führen. Dennoch kann all dies Parteichef Martin Schulz nicht gleichgültig sein. Vielmehr schwächt er dessen Verhandlungsposition in den am 7. Januar beginnenden Sondierungen, wo Schulz auf eine ebenfalls geschwächte Kanzlerin trifft. Wie daraus ein Bündnis entstehen soll, das Deutschland zu erneuern vermag, ist noch völlig unklar.

NRW-Landeschef stellt sich offen gegen Gabriel

Die Gefahr, die von Gabriel ausgeht, spüren auch Schulz und sein Umfeld. Das Willy-Brandt-Haus mag sich zu den Querschlägern lieber nicht einlassen, doch sind die Genossen offenbar zunehmend genervt. Der nordrhein-westfälische Landeschef Michael Groschek sendet nun eine klare Botschaft aus: Er bedauere es nicht, dass Gabriel nicht zum Sondierungsteam gehöre, sagt er unverblümt in einem Interview. Schulz habe „bei der Zusammenstellung eine gute Auswahl getroffen“, so Groschek bei seinem „ganz engen Schulterschluss“ mit dem gescheiterten Kanzlerkandidaten.

Gabriels Aktionismus verstärkt den Eindruck, dass die beiden Alphatiere nach dem Wechsel im Parteivorsitz nie an einem Strang gezogen haben – auch wenn Gabriel den Nachfolger gerade wieder als „einen großartigen Menschen und Politiker mit viel Herzblut und großem Engagement“ gewürdigt hat. Das Amt des Vorsitzenden abzugeben, „war sicher eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens“, hatte er in seiner letzten Rede als Vorsitzender am 19. März gesagt. „Das war alles richtig und bleibt auch richtig“, ergänzt der Außenminister nun. „Man spürt ja, wenn die eigene Partei das Vertrauen in den Vorsitzenden verliert.“ Auf einen Sinneswandel der Genossen sollte er nicht hoffen.