In den eigenen Reihen gilt er als „Enfant terrible“, manche vergleichen ihn mit dem SPD-Rechten Thilo Sarrazin. Doch sein umstrittenes Buch zur Flüchtlingsthematik eroberte Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Am Donnerstag war Palmer zur Signierstunde in Stuttgart.

Stuttgart - Ein gutes Buch!“ Der Autor hat gerade sein Fahrrad unter dem Plakat des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz abgestellt, da wird ihm schon erste Bewunderung zu Teil. Nur wenige Meter entfernt vom Amtssitz des Stuttgarter Rathauschefs Fritz Kuhn (Grüne) hat der Tübinger OB Boris Palmer am Donnerstag in der Buchhandlung Osiander sein Buch „Wir können nicht allen helfen“ signiert. Der umstrittene Beitrag zur Flüchtlingsthematik steht mittlerweile auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Die beiden ersten Auflagen sind bereits vergriffen.

 

Ob Palmer wirklich „der bekannteste grüne Bürgermeister Deutschlands“ ist, wie es in der Verlagseigenwerbung heißt, daran dürfte zumindest der Parteifreund im Stuttgarter Rathaus, der sich gerade bundesweiter Aufmerksamkeit in Sachen Luftbelastung und drohender Fahrverbote erfreut, leise Zweifel hegen. Doch anders als Fritz Kuhn, der seine Partei beim Kampf gegen Feinstaub und Stickoxide weitgehend hinter sich weiß, provoziert Palmer auch gern gegen jene Grünen, denen er beim Flüchtlingsthema Gutmenschentum und Gesinnungsethik unterstellt. „Wenn man den Rechten das Wasser abgraben will, darf man ihnen dieses Feld nicht überlassen“, rechtfertigt Palmer sein publizistisches Engagement.

Aus den eigenen Reihen erntet Palmer heftige Kritik

Viele Grüne dagegen bescheinigen dem einstigen Hoffnungsträger der Landespartei und früherem Stuttgarter OB-Kandidaten, es sei mal wieder das Palmer-Gen mit ihm durchgegangen – und das sind noch die höflichsten Reaktionen. Manche schleudern ihm auch entgegen, er solle „einfach das Maul halten“.

Doch ein Palmer lässt sich nicht bremsen, wenn ihn etwas umtreibt. Schon sein Vater, der „Remstalrebell“ und Nonkonformist Helmut Palmer, hat neben Fachbüchern zum Obstanbau in den 1980er Jahren unter dem provokanten Titel „Mein Kampf und Widerstand“ seine ganz persönliche Abrechnung mit den CDU-Regenten Filbinger und Späth vorgelegt. Palmer junior treibt nun mit seinen Thesen zu Ursachen und Wirkung der Flüchtlingsproblematik die eigenen Parteifreunde zur Weißglut. Seine spontanen Facebook-Posts, für ihn eine authentische Form der Kommunikation mit den Bürgern und damit „ein Beitrag gegen die Politikverdrossenheit“, tun ein Übriges: Wenn er etwa ein Foto von aggressiven Schwarzfahrern mit Flüchtlingshintergrund ins Netz stellt und dazu schreibt, er fühle sich „unwohl“, erntet er Beifall aus der rechten Ecke und böse Kommentare von den eigenen Leuten. Gleiches gilt für seine Forderung nach verbindlichen DNA-Tests unter schwarzen Asylbewerbern in Tübingen, die er nach der Vergewaltigung einer Frau durch einen Afrikaner erhoben hatte.

Zuspruch für den Autor: „Machen Sie weiter so.“

Am Donnerstag blieben Proteste anders als in seiner Heimatstadt in der vergangenen Woche aus. Dort hatten Unbekannte die örtliche Osiander-Filiale mit Anti-Palmer-Stickern verziert und eine Mahnwache abgehalten. In Stuttgart hält sich der Andrang der Kunden, die ein signiertes Buch haben wollen, zwar in Grenzen: Doch von denen, die ihn erkennen, bekommt Palmer Zuspruch. „Machen Sie weiter so“, sagt ein Käufer, und ein anderer bekennt: „Ich lese Ihre Facebook-Einträge regelmäßig.“

In die rechtspopulistische Ecke à la AfD will sich Palmer nicht schieben lassen – und nennt ein Beispiel: „Trump war gegen das Freihandelsabkommen TTIP, die AfD auch. Dürfen die Grünen dann nicht dagegen sein?“ Ja, er diskutiere auch mit AfD-Leuten auf Facebook, solange sie nicht verfassungsfeindlich seien oder zur Gewalt aufriefen. Deswegen lasse er sich noch lange nicht „von rechten Deppen vorschreiben, was ich sagen oder denken soll.“

Einen Tipp für den Kollegen im nahen Rathaus hat er auch noch: Kuhn müsse die Radwege auf der S-21-Baustelle besser ausschildern lassen, sagt er. Er sei auf dem Weg zur Signierstunde in einer Sackgasse geraten. Viele Parteifreunde wähnen den ehemals als Kronprinz von Ministerpräsident Kretschmann gehandelten Palmer inzwischen auch politisch dort angekommen.