Silke Bodenbender und ein Kriminalfall aus der Zeit vor der Wende: Im zweiteiligen Thriller „Walpurgisnacht“, der am Montag und Mittwoch im ZDF läuft, gibt die Schauspielerin eine westdeutsche Ermittlerin, die in der DDR einen Serienmord aufklären muss.
Stuttgart - Je ferner eine Rolle liegt, desto größer ist der Reiz, sie zu spielen – in diesem Credo von Silke Bodenbender liegt der Schlüssel zu ihrer erstaunlichen Wandlungsfähigkeit. Im Stuttgarter Schauspiel ist sie als zynische Mutter in den „Vögeln“ zu sehen, im ZDF-Thriller „Walpurgisnacht“ gibt sie eine verhärtete Kommissarin: Nur so, sagt sie, könne ihre Ermittlerin im Männerbiotop Polizei überleben.
Frau Bodenbender, ich muss gestehen, dass ich mir bisher nur den ersten Teil der „Walpurgisnacht“ angeschaut habe . . .
. . . finden Sie den Film so schlecht?
Nein, im Gegenteil, Bedürfnisaufschub: Der Film ist so spannend, dass ich mir die Auflösung der Rätsel noch aufheben wollte.
Dann werde ich Ihnen das Vergnügen nicht nehmen. Nur so viel: Im zweiten Teil nimmt die „Walpurgisnacht“ eine überraschende Wendung, weshalb man im ersten kaum ahnen kann, wer der Mörder der jungen westdeutschen Frau ist. Es handelt sich ja um einen Genrefilm. Er spielt mit den Mustern von Krimi, Thriller und Mystery, wobei er bei Letzterem an den Walpurgisnacht-Mythos auf dem Brocken anknüpft. Auch Hexen tragen zur düsteren Atmosphäre bei. Mit diesen klassischen Genremustern aber spielt der Film, wie ich finde, auf originelle Weise.
Bleiben wir bei Teil eins und der Szene, in der sie als Kommissarin Nadja Paulitz eingeführt werden: mit einem Nackenschlag.
Ja, aber es ist keine Hand, die im Nacken der Ermittlerin landet, sondern ein Tennisball. Man darf das symbolisch sehen: Nadja Paulitz vom LKA Wiesbaden hat schon viel einstecken müssen. Sie leidet unter einem Trauma, was aber zunächst nur angerissen wird, hat deshalb pausiert und wird nun von ihrem Vorgesetzten zurück in den Job geholt – damit beginnt der Film. Der Chef unterbreitet Paulitz das Angebot, zusammen mit DDR-Kollegen, die von Jörg Schüttauf und Ronald Zehrfeld gespielt werden, einen deutsch-deutschen Mordfall aufzuklären. In Zeiten von Glasnost und Perestroika hat Paulitz also auch den Auftrag, Annäherungspolitik zu betreiben.
„Meine Figur muss das Getuschel der Männer ertragen“
Und das Tennisspiel mit Nackenschlag?
Das ist ein Bild dafür, dass Paulitz verbissen an sich arbeitet, um wieder in den Job einsteigen zu können. Nachdem ihr der Ball ins Genick geflogen ist, zischt sie voller Zorn: „Ich krieg dich noch.“
Kurz darauf fällt noch ein anderer bemerkenswerter Satz. Der Chef sagt zu Nadja Paulitz: „Du bist mein bester Mann.“
Ein verräterischer Satz! Nebenbei beschreibt die „Walpurgisnacht“ auch den Stand der Frauenemanzipation Ende der achtziger Jahre. Weibliche Kommissare gab es zu dieser Zeit zwar schon, aber dass eine von ihnen mit einem politisch so aufgeladenen Fall befasst wird, dürfte die Ausnahme gewesen sein – man konnte sie sich nur, daher der Dialogsatz, als Mann vorstellen. Paulitz muss auch das Getuschel der Männer auf dem LKA-Flur ertragen.
Aber die Story selbst ist erfunden?
Ja, ein gesamtdeutsches Ermittlerteam hat es nie gegeben. Die „Walpurgisnacht“ denkt Glasnost und Perestroika einfach fiktiv weiter – und nutzt die Chance, auch einen Clash der Polizeikulturen zu inszenieren. Paulitz glaubt, dass der Mörder, der bald zum Serienmörder wird, ein Psychopath ist. Ihr ostdeutscher Kollege widerspricht: „Bei uns gibt es keine Psychopathen“ – in seinen Augen kann es solche Täter nur in der BRD geben. Er sieht sie als Ausgeburten des bösen Kapitalismus.
Ihre Profilerin spielen Sie sehr unterkühlt und emotionslos. Warum statten Sie Ihre Figur mit dieser Härte aus?
Sie sagten es doch: Weil ich der „beste Mann“ im Team sein will und – um in diesem Biotop zu überleben – ja auch sein muss. Aber unter diesem Panzer versteckt meine Figur eine Weichheit, die sich allmählich Bahn brechen wird.
Die „Walpurgisnacht“ zeigt noch andere Frauen. Die Morde ereignen sich vorm Hintergrund der Wahlen zur „Miss Harz“ mit hübschen, aufgesexten Frauen . . .
. . . die ein krasses Gegenbild zu Nadja Paulitz entwerfen. Ihr habe ich jeden Sex-Appeal ausgetrieben. Das lässt sie nicht zu, weil sie glaubt, dass dadurch ihre fachliche Autorität untergraben werden könnte.
Sex-Appeal als beruflicher Makel: Heute sind wir mit der Emanzipation weiter.
Ja, generell. Ich sehe das bei meiner Tochter und meinem Sohn, die in Kindergarten und Schule nicht mehr geschlechtsspezifisch erzogen werden. Gesellschaftlich kann es immer ein Rollback geben, man muss auf der Hut sein, es hat ja auch gedauert, bis sich emanzipatorische Selbstverständlichkeiten durchgesetzt haben. Aber dass – anderes Beispiel – die Frau arbeiten geht und der Mann zu Hause bleibt, ist heute auch kein Thema mehr.
Auch Sie sind eine berufstätige Mutter.
Ich habe das Glück, dass auch mein Mann – er ist Schriftsteller – freiberuflich tätig ist. Da fallen Absprachen leichter, es ist immer jemand bei den Kindern. Sowieso gibt es heute viele Schauspielerinnen, die Kinder haben: Lisa Martinek, Andrea Sawatzki, Christiane Paul, Nina Kunzendorf . . . Als ich am Theater anfing, Ende der neunziger Jahre, haben mir ältere Kolleginnen gesagt: Entweder Schauspielerin oder Mutter, du musst dich entscheiden. Das hat sich geändert. Heute geht beides.
Darstellerin:
Geboren 1974 in Bonn, gehört Silke Bodenbender zu den gefragtesten Schauspielerinnen ihrer Generation. Zu Hause ist sie am Theater und im Film, wo sie mit allen wichtigen Regisseuren gedreht hat: von Dieter Wedel bis Dominik Graf. Nachdem sie im Theater, der beiden Kinder wegen, neun Jahre pausiert hat, ist sie seit Herbst zurück auf der Bühne. Als Mitglied des Stuttgarter Schauspiels ist sie in den „Vögeln“ zu sehen, im Sommer folgen die „Empörten“ als Koproduktion mit den Salzburger Festspielen.
Thriller:
In „Walpurgisnacht“ spielt Bodenbender unter der Regie von Hans Steinbichler die Wiesbadener LKA-Ermittlerin Nadja Paulitz. Um den Mord an einem Mädchen aus dem Westen aufzuklären, fährt sie 1988 zu den Kollegen in den Osten. Die drückende Atmosphäre des Grenzkaffs im Harz, die rückständigen Ermittlungstechniken der zur Arbeit radelnden Volkspolizei, die Sehnsucht der Dörfler nach einer Flucht aus der Tristesse sowie die Allmacht der Partei – das fängt die „Walpurgisnacht“ jenseits ihrer Thrillerqualitäten famos ein.
Sendetermin: ZDF,
Montag und Mittwoch, jeweils um 20.15 Uhr