Beim Stimmbildungs- und Gesangstraining lernt man, den eigenen Körper als Instrument zu verwenden.

Sillenbuch - Niemand schämt sich für seine Sprechstimme. Ganz anders ist es, wenn man plötzlich vor jemandem singen muss. „Beim Singen sind wir eitel“, sagt Martina Huiss. Sie beschäftigt sich als Rhetorik-, Stimmbildungs- und Gesangstrainerin täglich mit Sprech- und Singstimmen. Und sie weiß um die Befindlichkeiten der Menschen. Heute stehe ich vor ihr und soll lustige Wortfolgen wie „hopp – Mopp – ob“ oder „heiter – weiter – Eiter“ auf die Töne singen, die sie am Flügel anschlägt.

 

Aber zurück zum Anfang: Freundlich und beschwingt öffnet mir Martina Huiss ihre Haustür in Sillenbuch. Sie hat eine aufrechte Haltung, wirkt größer als sie ist, spricht mit klarer, fester Stimme. Sofort kann ich mir die 47-Jährige auf der Bühne vorstellen. Da steht sie auch schon lange: In den 90er Jahren machte sie als Maria Lux Popmusik, spielte im Vorprogramm von Sting. Studiert hat sie neben Rhetorik auch Musikwissenschaft, ist in klassischem Gesang ausgebildet und Pianistin. Heute tritt sie mit Arien, Chansons oder Musicals auf.

Vor allem hat sich die zweifache Mutter mit jedem ihrer Studienfächer heute ein berufliches Standbein geschaffen. In der Lehrerfortbildung des Regierungspräsidiums gibt sie Kurse in Sprecherziehung und Rhetorik. In ihrem Wohnzimmer gibt sie Gesangsunterricht.

Der Körper wird wie ein Instrument genutzt

Dort stehe ich an diesem sonnigen Vormittag. Der schwarze Flügel glänzt prächtig, die Atmosphäre ist sehr angenehm. Ich fasse sofort Vertrauen zu Martina Huiss, man spürt, dass sie durch und durch Profi ist. Mit fünf Jahren Erfahrung im Schulchor weiß ich in etwa, was gleich auf mich zukommt, denke ich. Falsch gedacht.

Bevor es ans Singen geht, will Martina Huiss nämlich erst herausfinden, welcher Atemtyp ich bin. „Beim Singen nutzen wir unseren Körper wie ein Instrument“, sagt sie. Dafür müsse man die richtige Technik beherrschen. Dazu gehört auch das sonst so selbstverständliche Atmen. Mit dem Fuß gibt sie einer eingerollten rosafarbenen Unterlage einen Stups, und sie rollt sich aus. Ich muss mich hinlegen und atmen. Erst auf dem Rücken: einatmen, kurz die Luft anhalten und den Atem wieder ausströmen lassen. Dann auf dem Bauch: fest ausatmen, kurz die Luft anhalten, dann die Luft automatisch einströmen lassen.

Ich fühle mich ein wenig wie bei einem Geburtsvorbereitungskurs, lasse mir aber erklären, dass die Gesangslehrerin mit der Übung erkennen kann, ob ihre Schüler eher vom Typ „Einatmer“ oder vom Typ „Ausatmer“ sind. Ich sei kein eindeutiger Fall, da ich beide Übungen ähnlich gemacht habe. Meine Körperhaltung verrate aber, dass ich eher der Ausatmer bin. Ich fühle mich peinlich durchschaut. „Keiner der beiden Typen ist besser oder schlechter“, sagt Martina Huiss und lacht. Das beruhigt.

„Singen ist befreiend“

Nun geht es zu den Wortfolgen: „Hopp – Mopp – ob“, soll ich sagen, ausdrucksstark, mit Resonanzweite, betonten Klingern, um Tragfähigkeit herzustellen – böhmische Dörfer für einen Laien. Langsam beginne ich zu verstehen, wie viel Theorie hinter dem Singen steckt. „Ein Sänger macht wie ein Sportler etwas mit seinem Körper und muss stundenlang üben“, sagt Huiss.

Erst nach diesen Trockenübungen kommt Melodie ins Spiel. Martina Huiss spielt mir eine tiefe Tonfolge vor. Ich singe die Wortfolgen darauf. Immer höher und höher werden die Töne – bis nur noch ein Piepsen aus meiner Kehle kommt. Immerhin habe ich zwei Oktaven geschafft. Der Schulchor scheint sich doch gelohnt zu haben. Meine Lehrerin ist zufrieden – und optimistisch: Zum Abschluss stellt sie mir ein Gesangbuch mit einer italienischen Arie auf den Notenständer vor meiner Nase. Doch selbst das klappt ganz passabel, zumindest, wenn die Sopranistin mitsingt.

Nach einer guten Stunde verlasse ich Martina Huiss erschöpft aber fröhlich. Jetzt weiß ich, was die 47-Jährige meinte, als sie sagte: „Singen ist befreiend.“