Auf dem Schlossplatz genießen mehrere tausend Menschen eine gelungene Liveshow und feiern „Zusammen“ ins neue Jahr hinein. Die allermeisten hielten sich offenbar an das Feuerwerksverbot im Cityring.

Was ist der Unterschied zwischen den offiziellen Silvesterpartys in Berlin und Stuttgart? Während am Brandenburger Tor Scorpions-Sänger Klaus Meine den „Wind Of Change“ ins Mikro pfeift, interpretiert auf dem Schlossplatz das Prime Orchestra aus Charkiw seine Fassung von deren Goldballade „Still loving you“. Die Menge vor der Bühne ist begeistert, und die Kulisse mit dem Neuen Schloss im Hintergrund äußerst stimmungsvoll.

 

Viele sind erst in der letzten Stunde vor dem Jahreswechsel auf den Schlossplatz gekommen, um bei milden Temperaturen zu feiern – dem Motto der Veranstaltung folgend „Zusammen“. Tine ist schon um 20 Uhr auf dem Gelände. Sie freut sich auf die Lichtinstallationen und darüber, unter Leuten zu sein. „Es ist toll, dass es eine große Stuttgarter Silvesterparty gibt, und erschwinglich ist sie auch noch“, sagt sie. Mit dem Auftritt von Paul Potts könnte sogar ein richtiger Gänsehautmoment drin sein. Die 41-Jährige ist gespannt. Überhaupt kommt das Bühnenprogramm gut an. Das Programm des Prime Orchestra bietet vom ABBA-Evergreen bis zur streicherummantelten Instrumentalversion von Deep Purples „Smoke on the Water“ Musik, die als Stimmungsgarant taugt.

Lange Schlangen vor Getränkeständen

Darius (23) will einfach nur eine gute Zeit mit Freunden haben. Er findet die Livebeschallung zweitrangig, aber „absolut okay“ – erst recht, während er in der Schlange an einem der Cocktailstände ausharren muss. Die ist beeindruckend lang. Während man sich kulinarisch praktisch ohne Wartezeit versorgen kann, herrscht bei den Getränken großer Andrang. Zu Problemen führt der Alkoholkonsum nur in Einzelfällen. „Es hält sich alles im erwartbaren Rahmen“, zieht ein Mitarbeiter des Sanitätsteams gegen 23 Uhr Zwischenbilanz. Unweit der medizinischen Anlaufstelle spielen aufgedrehte Kinder mit ihren Eltern Fangen. „Zusammen“ funktioniert auch als Familienevent.

Paul Potts sorgt für Gänsehautgefühl

Akrobatischer Lufttanz, dargeboten durch die Company Vo-La, vor dem Countdown Richtung Jahreswechsel ein Kurzkonzert von Glasperlenspiel – die von Nicole Köster (SWR) moderierte Show rollt ohne Durchhänger ab. Paul Potts? Natürlich schmettert er die Puccini-Arie „Nessun dorma“, die ihn berühmt gemacht hat. Auch das für Louis Armstrong geschriebene „What a wonderful World“ gerät dem einstigen Sieger von „Britain’s got Talent“ stimmungsvoll. Zusätzliche Sympathien gewinnt er durch seine Bemerkung, der Stuttgarter Hauptbahnhof sei ja doch „ein bisschen verrückt“.

Immer wieder senden Prominente wie Fools Garden, die Fantastischen Vier und Dodokay via Leinwandprojektion Grüße an die Besucher. Letzterer verrät, sein guter Vorsatz fürs neue Jahr sei es, jedes Mal daran zu denken, den Gelben Sack rauszustellen. Dilan (18) nimmt sich lieber nichts vor. Zumindest nicht an Silvester. „Das hält man meist sowieso nicht durch“, gibt sie zu bedenken. „Ich packe Dinge lieber an, wenn sie während des Jahres anstehen.“ Wünsche hat sie hingegen: Gesundheit für sich und ihre Familie und Frieden.

Der Wunsch nach einem Ende des Krieges in der Ukraine wird bei „Zusammen“ zwar nur punktuell angesprochen, etwa wenn Nicole Köster vor der Bühne Stimmen einfängt oder mit Prime-Orchestra-Sänger Maxim spricht, der sich für die Unterstützung seiner Landsleute bedankt. Die Freude darüber, nach 2019 wieder ohne pandemiebedingte Einschränkungen Spaß haben zu können, schließt das Bewusstsein für die politische Lage aber keineswegs aus. „Es ist schon ein bisschen seltsam, hier zu sein und zu wissen, wie schlimm es zu Hause aussieht“, überlegt ein junger Ukrainer. Das neue Jahr bringe für ihn neue Hoffnung.

Rund um die böllerfrei gehaltene Innenstadt steigen Raketen auf. Schon eine halbe Stunde vor Mitternacht lassen es die Feuerwerker krachen und färben den Himmel bunt. Unter den Lichtern des Riesenrads trompetet Kevin Pabst „You’ll never walk alone“, ehe der Berliner DJ Dan Le Blonde das musikalische Zepter übernimmt.

Die Polizei ist präsent. An den Durchlassstellen finden Kontrollen statt, um zu verhindern, dass Feuerwerkskörper auf den Schlossplatz gelangen. Wegen des großen Andrangs müssen die Zugänge zwischen 23.30 Uhr 0.45 Uhr sogar geschlossen werden. Doch schwerwiegende Vorkommnisse bleiben aus. „Unser Einsatzkonzept ging voll auf“, sagt Polizeisprecher Timo Brenner am Tag danach mit Blick auf die Situation in der Innenstadt insgesamt.

Weniger erfreulich ist, was das Klinikum Stuttgart vermeldete: In der Neujahrsnacht mussten drei Personen mit schweren Verletzungen behandelt werden. „Bei zwei Patienten war das Augenlicht bedroht. Sie hatten sich über Feuerwerksbatterien gebeugt und hineingeschaut, als diese explodierten“, sagte der Oberarzt der Notaufnahme, Alexander Krohn, am Sonntag. „Es war eine herausfordernde Nacht“ – auch wegen „zunehmend gewaltbereiter Patienten“.