In der Kölner Silvesternacht wurden Hunderte Frauen Opfer von Raub und sexueller Übergriffe. Genau ein halbes Jahr später sagt die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft vor dem Untersuchungsausschuss aus.

Köln - Für die Polizeipräsidenten ist die Sache längst klar. „Jetzt befragen die auch noch die Sekretärinnen und halten uns von der Arbeit ab“, antwortet einer der obersten Ordnungshüter Nordrhein-Westfalens, wenn man ihn auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu den Kölner Silvesterereignissen befragt. „Da liegt doch längst alles auf dem Tisch: Es gab zu wenig Kräfte vor Ort, bei der Polizei, noch mehr bei der Bundespolizei und eben auch bei der Stadt“, erklärt er. „Außerdem haben die nicht zusammengearbeitet, wie es nötig gewesen wäre.“

 

Mit diesen wenigen Zeilen sind die Ursachen für den Kölner Albtraum eigentlich schon treffend beschrieben. Die weitere Arbeit der Parlamentarier dient weniger der Sachaufklärung als dem politischen Klamauk. Aus Sicht der Opposition sieht das natürlich anders aus: „Wir klären auf, und das ist auch nötig“, verteidigt der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Peter Biesenbach (CDU) seine Arbeit und weist jeden Vorwurf, parteiisch oder gar parteipolitisch zu agieren, weit von sich: „Wir sind an der Sache orientiert.“

Mehr als die Hälfte der Beschuldigten stammt aus Algerien oder Marokko

In der Silvesternacht wurden Hunderte Frauen rund um den Kölner Hauptbahnhof Opfer von Raub und sexueller Belästigung. In einzelnen Fällen soll es auch zu Vergewaltigungen gekommen sein. Bisher sind knapp 1200 Strafanzeigen eingegangen, 500 davon wegen eines sexuellen Übergriffs. Mehr als die Hälfte der 204 Beschuldigten stammten aus Algerien oder Marokko.

Der Untersuchungsausschuss wird an diesem Freitag die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft befragen, und das Medieninteresse ist so groß, dass man die Veranstaltung in einen anderen Saal übertragen muss. In der Sache hat sie allerdings wenig beizutragen. Kraft war bis zum Morgen des 4. Januar im Urlaub und hatte bis dahin – so hat sie es die Öffentlichkeit an Eides statt wissen lassen – nichts von den Ereignissen mitbekommen.

Der Ministerpräsidentin ist es da ähnlich wie weiten Teilen der Öffentlichkeit ergangen. Erst zu Beginn der ersten Woche im neuen Jahr schaffte es das Phänomen der Gewalt und der sexuellen Attacken auf die Titelseiten. Die Silvesternacht veränderte die Debatte über Flüchtlinge so sehr, dass sich selbst Donald Trump dazu äußerte. Er sprach von „fürchterlichen Dingen“, die in Deutschland geschähen. „Und schaut, was mit den Frauen passiert.“

Die Opposition wirft Hannelore Kraft eine zu späte Reaktion vor

Der Untersuchungsausschuss wird sich vor allem mit der Frage beschäftigen, wann die Untergebenen Hannelore Kraft über die Vorgänge informiert haben und warum sie erste Meldungen über den Dienstweg am Wochenende nach Silvester nicht erreicht haben. In der Tat hatte es Eilmeldungen gegeben, in denen von ersten sexuellen Attacken die Rede war, sie waren auch über den Verteiler in der Staatskanzlei gelandet, aber niemand hat mit der Ministerpräsidentin darüber gesprochen. Sie selbst hat inzwischen erklärt, dass sie montags einen Artikel in der Presseschau gelesen und darüber mit dem Innenminister Ralf Jäger (SPD) telefoniert habe: „Der hat sich dann am Montag und ich habe mich am Dienstag dazu geäußert.“ Für die Opposition ist das ein Skandal. „Sie waren einmal die Kümmerin, Sie haben hier viel zu spät reagiert“, hat ihr der CDU-Oppositionsführer Armin Laschet vorgeworfen und dies mit den schlechten Wachstumszahlen des Landes und der Kriminalitätsentwicklung verbunden. Seitdem wirkt Kraft wie getrieben.

Für die Aufklärung ist die Frage, wann Kraft etwas gewusst hat, nicht einmal zweitrangig. Deshalb hat sich der Untersuchungsausschuss auch bisher eher mit den Abläufen und den Verantwortlichen aus Köln und dem Innenministerium beschäftigt.

„Es gab kein Sicherheitskonzept, es gab ja keine angemeldete Veranstaltung“

Direkt zu Beginn hat der Chef des Kölner Ordnungsamtes, Jörg Breetzmann, unfreiwillig seltene Einblicke in die Behördenarbeit geliefert. Als Chef war er zwar an der Vorbereitung der Sicherheitsmaßnahmen zur Silvesternacht beteiligt, am Abend selbst aber hatte er Urlaub. Was dort passiert ist, hat er von Kollegen gehört und in Akten gelesen. „Nein“, musste er deshalb antworten, „es gab kein Sicherheitskonzept, es gab ja keine angemeldete Veranstaltung.“ Die Ergebnisse von Besprechungen im Rathaus wurden auch nicht ordnungsgemäß protokolliert und mit den Beteiligten aus Landes- und Bundespolizei abgestimmt. „Datt is in Köln so“, antwortete er auf eine entsprechende Frage.

Die Verantwortlichen der Stadt funkten in der Nacht auf einer anderen Frequenz als die Bundespolizei, und als die Brücke hinter dem Bahnhof geschlossen werden sollte, war die städtische Einsatzleiterin nicht erreichbar. Der Ausschuss hat etliche Fehler herausgearbeitet, die in der Summe zu dem Desaster geführt haben. Der Polizeiführer auf der Wache hatte keinen Überblick; als er noch weitere Kräfte hätte anfordern können, hat er es nicht getan. Die Bundespolizei war hoffnungslos unterbesetzt und konnte die Attacken am Bahnhof nicht verhindern. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Bundespolizei ihr Personal in Köln erneut reduziert hat.

Immerhin hat es auf Landesebene unter dem Druck der Ereignisse erstaunliche Konsequenzen gegeben. Die rot-grüne Landesregierung hat im Eiltempo ein 15-Punkte-Paket verabschiedet. Es gibt zusätzliches Personal für Polizei und Justiz, Städte können Videoüberwachung an ausgewählten Orten installieren, und selbst die lange umstrittenen Körperkameras für Polizisten sind nicht mehr tabu. Die Regierung hat damit einige jener Forderungen erfüllt, die die Opposition in der Vergangenheit lautstark gefordert hat. Vermutlich wird Hannelore Kraft vor allem darüber zu reden versuchen.