Der neue Covid-19-Erlass erlaubt den Sportbetrieb nur noch mit maximal zehn Personen, was zahlreiche Vereine in und um Stuttgart vor enorme Probleme stellt. Ein Club legt sein Programm komplett auf Eis.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Was ist eine Ansammlung? Wie viele Menschen machen sie aus? Und: Ist es von Bedeutung, zu welchem Zweck sie sich treffen? Diese und ähnliche Fragen haben sich die Funktionäre des MTV Stuttgart am Montag gestellt, nachdem sie die neue Covid-19-Verordnung des Landes erhalten hatten. Darin steht in Paragraf 9 Absatz 1, dass mit Wirkung vom 19. Oktober an die Obergrenze für Ansammlungen ohne Mindestabstand auf maximal zehn Personen abgesenkt worden ist. Das hieße für Sportvereine: Nur noch maximal zehn Hobbyathleten dürfen gemeinsam trainieren, was nicht nur bei den populärsten Mannschaftssportarten wie Fußball und Handball für allerhand Probleme sorgt, weil damit Übungsstunden und Spielformen nicht mehr sinnvoll durchführbar wären.

 

Was wäre, wenn Sportler, die trainieren wollen, gar keine Ansammlung darstellen? Karsten Ewald, Geschäftsführer des MTV Stuttgart mit 9100 Mitgliedern, hat den Württembergischen Landessportbund (WLSB) um Klärung des Begriffs gebeten – und er hat selbst recherchiert. Dabei ist er auf einen Zeitungsartikel gestoßen, in dem das Kultusministerium Baden-Württemberg erklärte, es gelte weiterhin die Verordnung Sport vom 8. Oktober. Darin sind Sporteinheiten von bis zu 20 Menschen erlaubt, was Ewald erfreute. „Wir haben uns entschlossen, dies als Maßgabe zu nehmen“, sagt er, „solange wir vom WLSB oder von anderswo her nichts anderes hören, führen wir unseren Sportbetrieb unter Beachtung aller Abstands- und Hygieneregeln weiter wie bisher.“ In der Landesverordnung werden allerdings auch Ausnahmen genannt, die mehr Personen im Trainingsbetrieb zulassen, etwa wenn ein Personenabstand von 1,5 Metern während der Übungen durchgängig gewährleistet ist – etwa bei Gymnastik oder Yoga – oder wenn eine Sportart mehr als zehn Spieler zwingend benötigt.

Keiner will etwas falsch machen

Die Stadt Stuttgart hat auf die veränderte Lage hingewiesen und geht davon aus, dass die Clubs die Vorgaben befolgen. „Die Sportvereine haben sich in der Krise als verantwortungsvolle und verlässliche Partner gezeigt, die sich um die Umsetzung der Regelungen sehr bemühen“, bestätigt eine Sprecherin der Landeshauptstadt, „deshalb fragten viele verstärkt nach, wie sie mit den neuen Regelungen umgehen müssen.“ Denn offenbar waren nach der Lektüre der Paragrafen die Fragezeichen in der Köpfen der Rezipienten größer als die Ausrufezeichen.

Keiner will im Kampf gegen das Virus etwas falsch machen. Beim TV Plieningen hat der Vorstand sicherheitshalber beschlossen, den gesamten Sportbetrieb bis Ende der Herbstferien auf Eis zu legen – was bei den rund 600 betroffenen Sportlern nicht durchweg auf Jubel stieß. Lediglich der Lauftreff unter freiem Himmel sowie die Punktspiele im Handball und Tischtennis sollen stattfinden, wenn sie nicht wegen Corona ohnehin vom Verband abgesetzt werden. „Wir haben stets alle Vorgaben umgesetzt, aber wir sind Ehrenamtler und stoßen irgendwann an die Grenzen des Leistbaren“, sagt Clubchef Folker Baur, der beklagt, dass nicht bei allen Regeln ein Sinn erkennbar sei. Am 31. Oktober will der Verein die Situation neu bewerten.

Großes Chaos beim VfL Herrenberg

Auch im Umland von Stuttgart führte die Verordnung zu enormer Verwirrung und geballter Unsicherheit – sowohl bei den Vereinen als auch in den Rathäusern. Weil Timo Petersen, der Geschäftsführer des VfL Herrenberg, am Montag permanent am Telefon hing und er dabei von einer E-Mail-Flut überschwemmt wurde, sprach die Clubführung auf dem Sportamt vor, nachdem erwogen worden war, den Trainingsbetrieb weitgehend einzustellen. „Es herrschte ein allgemeines Chaos“, erzählt Detlef Langer, der zweite Vorsitzende des VfL, „es wäre wünschenswert, dass sich die Behörden im Vorfeld abstimmen, das ist in der Umsetzung dann einfacher für alle Beteiligten.“ In der Pandemie gilt: Die kollektive Unsicherheit steigt mit der Geschwindigkeit, mit der Verordnungen erlassen werden. Am Ende einigten sich VfL und Kommune, die Verordnung Sport vom 8. Oktober zu befolgen, die Sportbetrieb mit bis zu 20 Personen erlaubt.

Der Städtetag Baden-Württemberg bat das Kultusministerium am Montag, es möge prüfen „mit Blick auf die guten Erfahrungen zur Obergrenze von 20 Personen“ zurückzukehren. Für die Beibehaltung dieser Marschrichtung hatte sich Bietigheim-Bissingen ohnehin entschlossen, so dass die Vereine in der Großen Kreisstadt kaum verwirrt waren. Zwar gilt die Verordnung vom 19. Oktober, aber die Ausnahmeregelungen lassen es zu, dass die meisten Sportarten weiter betrieben werden können wie bisher. Es bleibt lediglich eine kleine Restunsicherheit. Aber was ist schon sicher in Zeiten von Corona?