Nach Jahrzehnten des Leerstands baut Stefanie Zeh die ehemalige Molke in Sindelfingen-Darmsheim zum Wohnhaus um – ein ambitioniertes Projekt, bei dem ihr Puls regelmäßig in die Höhe schießt.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Stefanie Zeh wird immer wieder im Ort angesprochen. „Ich finde es super, dass du es machst“, sagen die Leute dann zu ihr – weil sich die Architektin der alten Molke im Sindelfinger Stadtteil Darmsheim (Kreis Böblingen) angenommen hat. Mit ihr zieht erstmals seit 1959 wieder Leben in das Backsteingebäude mit den auffälligen Bogenfenstern ein. Der Erhalt des Häuschens ist für die Darmsheimer offenbar eine Herzensangelegenheit. Diese Einstellung gilt gleichermaßen für Stefanie Zeh, die in dem Ort aufgewachsen ist: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragte sie sich, als der Altbau im vergangenen Frühjahr zum Verkauf angeboten wurde. Im April bekam sie den Zuschlag, seither macht sie ein Wohnhaus daraus – und hatte schon so manche schlaflose Nacht.

 

Richtig aufgeregt war Stefanie Zeh vor dem ersten Besichtigungstermin. Mit mehreren anderen Interessenten schaute sie sich das Objekt damals an, am Abend schlüpfte sie noch einmal allein hinein. Und dabei ist die Entscheidung gefallen. Schließlich verbindet auch die 36-Jährige einige Erinnerungen mit der Molke. Als Kind hat sie sich am Automaten, der am Haus angebracht ist, Kaugummis gezogen. Vor fünf Jahren hatte sie mit Freunden die fixe Idee, eine Kneipe darin zu eröffnen. „Milchmädchen“ sollte das Lokal heißen. Jetzt erzählen ihr ältere Ortsbewohner immer wieder, dass die Molke einst ein beliebter Treffpunkt war: Abends wurden die Kinder und Jugendlichen zum Abgeben der Milch dorthin geschickt.

Für die Scheune und ein Bauernhaus blieb nur der Abriss

Die Stadtverwaltung und der Darmsheimer Ortschaftsrat haben sich auch redlich bemüht, das Kulturdenkmal, das allerdings nicht unter Denkmalschutz steht, zu erhalten. Das Grundstück befand sich in Privatbesitz, jahrelang wurde dafür ein Investor gesucht. Mittels einer Machbarkeitsstudie ließ das Rathaus die Optionen für die Immobilie sowie zwei Nachbargebäude, die sich auf dem selben Grundstück gegenüber der Kirche befanden, untersuchen. Für die Scheune und ein Bauernhaus blieb nur der Abriss, weil zu viel Geld für den Umbau in Wohnraum nötig gewesen wäre. Für die Molke wurde ein Kompromiss gefunden: Das Unternehmen Wohnbau Merkt durfte ein Mehrfamilienhaus auf dem Gelände bauen, dafür blieb das Häuschen stehen.

Vor 137 Jahren ist die Molke gebaut worden. Am Anfang verarbeitete eine bäuerliche Genossenschaft dort mithilfe einer Dampfmaschine die Milch zu Butter. Im Ersten Weltkrieg wurde die Produktion eingestellt. Bis 1959 blieb das Häuschen Milchsammelstelle und harrt seither einer neuen Nutzung. „Es ist wie ein alte Dame, die gepflegt werden muss“, erklärt Stefanie Zeh ihr Bauprojekt.

Die Fassade ist abgebürstet

Dass unter den Fliesen im Erdgeschoss beispielsweise direkt Erde auftauchte und kein Fundament, hat für die erste Überraschung gesorgt. Eine Betonplatte musste deshalb gegossen werden. Im Dachgebälk hat eine Wespe den Eichenbalken so zugesetzt, dass einige ausgetauscht werden mussten. Die alte Treppe ins Obergeschoss muss sie wider Erwarten durch eine neue ersetzen. Ihr Puls sei permanent auf 300, wenn sie auf der Baustelle ist, verrät die Architektin. „Aber ich wusste, auf welche Ungewissheiten ich mich einlasse.“ Ein Milchmädchenrechnung hat sie nicht aufgestellt: Am Ende müsse „ein darstellbarer Preis“ stehen, betont sie.

Mittlerweile ist die Fassade abgebürstet, das Dach frisch gedeckt. Mit viel Eigenarbeit jeden Samstag, kenntnisreichen Handwerkern und vielen willigen Helfern wird die Molke Stein für Stein renoviert. Sie soll energetisch effizient sein und wird von innen gedämmt. Wie vor 100 Jahren will die 36-Jährige schließlich nicht wohnen. „Denkmäler kann man nicht zum Selbstzweck erhalten“, findet sie, „man muss Kompromisse eingehen.“ Das trifft etwa bei den neuen Fenstern zu, die künftig keine Eisenstege zieren werden. Im April will sie möglichst einziehen, genau ein Jahr nach dem Kauf. Momentan fragt sich Stefanie Zeh angesichts von unverputzten Mauern und löchrigen Scheiben allerdings schon noch, wie die Molke jemals zu ihrem Traumhaus wird.

Wie sich ein Denkmal erhalten lässt

Kolloqium:
Erwerb, Sanierung und Umbau eines Baudenkmals stellen alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Die Kammergruppe Böblingen der Architektenkammer Baden-Württemberg lädt deshalb am Donnerstag, 30. November, zu einem Kolloquium ein. Beginn ist um 19 Uhr in der Zehntscheuer in Böblingen-Dagersheim. Zunächst gibt es einen Einführungsvortrag, dann folgt eine Expertenrunde. Auf dem Podium sitzen der Denkmalberater Christoph Kleiber, der Archäologe und Bauforscher Tilmann Marstaller, der Geschäftsführer der Wohnstätten Sindelfingen, Georg Rothfelder, der Architekt Joachim Schöllhorn, der große Planungserfahrung bei der Sanierung der Sindelfinger Altstadt gesammelt hat, sowie Friedrich Wein, der Kreisbaumeister und Brandschutzsachverständige im Böblinger Landratsamt.

Verkauf:
Allein auf den Seiten des Regierungspräsidiums finden sich aktuell 14 Kulturdenkmale im Kreis Böblingen, die zum Verkauf stehen. Ein Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert in Holzgerlingen gehört zu den neueren Angeboten oder ein gestelztes Wohnstallhaus neben der Kirche von Gäufelden. Auch zu haben ist die Mühle im Aidlinger Ortsteil Deufringen sowie ein Fachwerkhaus, das den verheerenden Stadtbrand des Jahres 1635 in Herrenberg unbeschadet überstanden hat. Die Angebote finden sich unter im Internet