igoros verlangt die Stadt den Abriss von Schwarzbauten in der Rotbühlstraße. Eine Familie wehrt sich dagegen, weil sie die Schwarzbauten nicht selbst errichtet hat. Seit fünf Jahren liegt sie im Clinch mit dem Baurechtsamt.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Sindelfingen - An ihrem Eigenheim haben Alfred und Aurelie Klöss noch keine rechte Freude gehabt, im Gegenteil. Die ständige Sorge um das Haus in der Rotbühlstraße in Sindelfingen raubt ihnen die Gesundheit. Besonders hart erwischt hat es Alfred Klöss, 49 Jahre alt, Logistiker bei Daimler, der seit geraumer Zeit unter Schwindelanfällen leidet. Aber auch seiner Frau Aurelie Klöss, 45 Jahre alt, merkt man den Kummer an.

 

Seit knapp fünf Jahren liegt das Ehepaar wegen Schwarzbauten an ihrem Eigenheim mit der Verwaltung von Sindelfingen im Clinch. Das Problem: Die Schwarzbauten hat nicht die Familie errichtet, sondern der Vorbesitzer des Hauses. Zuletzt hat sich die Familie in ihrer Not an den Petitionsausschuss des Stuttgarter Landtags gewandt, doch auch da hatte die Familie keine Chance. Am 3. Januar wurde das Verfahren abgeschlossen mit dem Vermerk: „Der Petition kann nicht abgeholfen werden.“

Eine große Terrasse wurde angebaut

Das Reihenhaus wurde 1955 errichtet. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, in der Sindelfingen begann, sich von einem rund 11 000 Einwohner zählenden Städtchen zur größten Stadt des Kreises Böblingen mauserte. Heute zählt sie rund 65 000 Einwohner. Damals musste Wohnraum her, möglichst schnell und billig. So wurden auch die Reihenhäuser in der Rotbühlstraße in einfacher und billiger Weise gebaut. Doch schon bald gab es überall im Viertel den Wunsch, die Häuser zu vergrößern oder zu verändern.

An das Haus, das heute dem Ehepaar Klöss gehört, wurde eine große Terrasse angebaut, darüber ein großzügiger Wintergarten. In dem Vorgärtchen des Reihenhauses bauten die Vorbesitzer einen Carport und weitere Stellplätze – und alles, ohne die Stadt zu informieren. Aber auch niemand in der Stadtverwaltung schien sich über Jahrzehnte für die rege Bautätigkeit zu interessieren. Als die Familie Klöss das Haus kaufte und später die Genehmigung für einen Geräteschuppen einholen wollte, wurde die Stadtverwaltung jedoch darauf aufmerksam und verfügte den Rückbau.

Inzwischen wurde der Wintergarten verkleinert, und ein Teil des Stellplatzes geschottert, damit er wasserdurchlässig bleibt. Der Platz wurde nach hinten verlegt, damit die Einfahrradien eingehalten werden. Die Terrasse durfte bleiben. Alles in allem hätten ihn diese Umbauten 75 000 Euro gekostet, sagt Alfred Klöss, was die Familie an den Rand des Ruin getrieben habe. Auch die Stadt Sindelfingen seufzt unter der langen Streiterei, bedauert den Unbill, den die Familie erlitten hat und rät dazu, beim Kauf eines Hauses vorsichtshalber einen Bausachverständigen zu konsultieren.

Inzwischen hatte sich das Verhältnis der Familie zu einem Nachbarn verschlechtert, der sich eine Garage in den Garten gebaut hatte. Als Sichtschutz baute Klöss nämlich noch eine Gabionenmauer von elf Metern Länge und 1,60 Metern Höhe. Aber auch diese Mauer sei illegal, argumentierten die Stadt und der Petitionsausschuss gleichermaßen, weswegen diese Mauer wieder weg musste.

Nun gab es neuerlichen Zank, und zwar wegen Dachgauben, die einer seiner Nachbarn anbaute. Der Nachbar hatte im Jahr 2015 um Zustimmung zum Umbau seines Hauses und den Bau einer Garage gebeten, die die Familie Klöss auch erteilte. Als der Nachbar begann, auch Dachgauben zu bauen, wurde Klöss misstrauisch, denn dazu hatte er keine Unterschrift geleistet, weswegen er sich vom Nachbarn betrogen fühlt und ebenso von der Stadt.

Petitionsausschuss hilft nicht

Hierzu stellt der Petitionsausschuss aber fest, dass eine Unterschrift oder eine Zustimmung von Alfred Klöss zu den Dachgauben von vorneherein nicht nötig gewesen wäre, weil die Dachgauben das Nachbargebäude nicht beeinträchtigten. Weil die Sache vor den Petitionsausschuss ging, sei damit auch eine Art Anhörung erfolgt und der Mangel sei geheilt. Nadine Izqiuerdo, die Pressesprecherin der Stadt Sindelfingen, gibt auch zu Bedenken, dass die Familie Klöss ja ein Widerspruchsverfahren hätte anstrengen können, wenn mit der Anhörung etwas schiefgelaufen sein könnte. Aber das habe sie nicht getan.

Bei den Schwarzbauten stellt sich die Stadt Sindelfingen auf einen formaljuristischen Standpunkt: „Regeln und Gesetze gelten für alle“, sagt Nadine Izqiuerdo, „wenn wir jemanden bevorzugen würden, dann wäre es ja eine Ungerechtigkeit allen anderen Anwohnern gegenüber.“

Das Wort „Ungerechtigkeit“ nimmt auch Aurelie Klöss in den Mund. Weil auch die Nachbarn Umbauten an ihren Reihenhäusern vorgenommen haben, oder sich etwa ein Gewächshaus in den Garten stellten, glaubt die Familie Klöss, dass man auch bei ihnen hätte Gnade vor Recht ergehen lassen können. Wie der Petitionsausschuss aber mitteilt, droht diesem Gewächshaus ebenfalls der Abriss.

Die Kritik an der möglicherweise schiefgelaufenen Anhörung zu des Nachbarn Dachgauben kann die Familie Klöss nun doch noch persönlich loswerden. Die Baubürgermeisterin Corinna Clemens will die Familie kommende Woche anhören. Den Vorbesitzer, der ihre Schwarzbauten hinterlassen hat, können sie nicht mehr belangen. Er ist bereits gestorben.