Der Kreis Böblingen rüstet sich für den Notfall: Die Halle der Gottlieb-Daimler-Schule wird umgebaut. Hier könnten Asylbewerber unterkommen.

Sindelfingen - Wo bisher vormittags die Schüler turnten und nachmittags und abends die Jugendfußballer trainierten, sollen demnächst Flüchtlinge schlafen. Das Landratsamt rüstet die Sporthalle der Gottlieb-Daimler-Schule zwei zu einer provisorischen Unterkunft für Asylbewerber um. Die Notfallpläne, die bisher in der Schublade ruhten, werden nun doch umgesetzt. Dies beschloss der Krisenstab des Landkreises, der extra für das Thema Flüchtlinge in der Kreisbehörde eingerichtet wurde.

 

„Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme“, sagte Dusan Minic, der Pressesprecher des Landratsamtes am Donnerstag . Noch gebe es Platz in den Flüchtlingsheimen im Kreis. Doch man will gerüstet sein, sollten vielleicht mehr Flüchtlinge als erwartet kommen oder sich die Bauarbeiten in den weiteren geplanten Unterkünften verzögern. „Wir müssen sicherstellen, dass im Winter keiner auf der Straße steht“, sagte der Landrat Roland Bernhard.

Platz für 116 Personen

116 Personen könnten maximal in der Halle Unterschlupf finden. Dazu wird das Gebäude in den kommenden Wochen umgerüstet. Durch Trennwände sollen kleinere private Einheiten abgeteilt werden. Rund vier bis sechs Wochen dauert voraussichtlich dieser Umbau. Die Kosten beziffert Wiebke Höfer, die Sprecherin des Landratsamtes, auf einen Betrag im „unteren sechsstelligen Eurobereich“.

Sportunterricht und Vereinstraining können deshalb von sofort an nicht mehr in der Sporthalle stattfinden. Karin Bieber-Machner, die Rektorin der Gottlieb-Daimler-Schule zwei, äußerte Verständnis für die Vorgehensweise. „Der Kreis ist Eigentümer der Halle, und wenn er sie für die Flüchtlingsunterbringung braucht, kann er sie selbstverständlich dafür nutzen.“ Die Schüler würden ab sofort in der Halle der benachbarten Gottlieb-Daimler-Schule eins unterrichtet. „Das wird zwar für alle Beteiligten eng und die Sportlehrer sind nicht begeistert, aber es ist machbar.“ Sollten tatsächlich Flüchtlinge in der Halle einquartiert werden, müsse man abwarten, wie sich das Zusammenleben von Schülern und Asylbewerbern auf dem Areal entwickle. Mehr wollte Bieber-Machner nicht dazu sagen.

Sportvereine bangen um Training

„Für uns ist das eine Katastrophe“, ist die spontane Reaktion von Harry Schollenberger. Der Jugendleiter des VfL Sindelfingen ist völlig überrascht von dieser Nachricht. „An drei bis vier Tagen nutzen die jungen Fußballer die Halle im Winter zum Training.“ Schollenberger äußerte Verständnis für die Situation, sieht aber große Probleme auf die Vereine zukommen. „Man sollte bedenken, dass der VfL Sindelfingen und der GSV Maichingen zusammen mehr Jugendmannschaften haben als viele Großstadtvereine, etwa in Stuttgart“, sagt der Trainer. Acht bis neun Vereine nutzen laut dem Landratsamt wöchentlich die Halle.

In Kreisen der ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuer sieht man eine Unterbringung in Sporthallen kritisch. „Aber wenn die Menschen draußen stehen, muss man wohl alles ermöglichen“, sagt Sabine Mundle, Sindelfinger Stadträtin und engagiert in einem Arbeitskreis Asyl.

757 Flüchtlinge sind in diesem Jahr im Kreis untergebracht worden, mit weiteren 150 rechnet das Landratsamt bis zum Jahresende. Momentan gibt es sieben Wohnheime im Kreis, in denen 708 Menschen leben. In Leonberg und Herrenberg werden weitere Gebäude zu Heimen umgebaut. Zum ersten Flüchtlingsheim in Sindelfingen will der Landkreis ein ehemaliges Labor in der Nüßstraße von einem Privateigentümer anmieten und umbauen.

Drei Areale, die die Stadt Sindelfingen dem Kreis für den Bau von Asylheimen zur Verfügung stellen wollte, hatte die Kommune nach Protesten von Anwohnern zurückgezogen. Eigene Gebäude wie in anderen Städten hat der Kreis in Sindelfingen nicht – außer den Sporthallen, in die nun Flüchtlinge einziehen sollen .

Kommentar: Beschämend

Flüchtlingsschwemme – dieses Wort geistert fast inflationär durch die Medien. Landauf, landab stöhnen Bürgermeister und Landräte , weil sie jede Woche neue Asylbewerber zugewiesen bekommen, denen sie Wohnung und Unterhalt gewähren müssen.

Doch schauen wir uns die Fakten an: Keine 800 Flüchtlinge sind in diesem Jahr in den Kreis Böblingen gekommen, der 360 000 Einwohner hat. Von einer Schwemme kann da wahrlich keine Rede sein. Und eigentlich müsste es doch ein Leichtes sein, diese Menschen vernünftig unterzubringen.

Und doch könnte jetzt auch bei uns drohen, was anderswo in Deutschland bereits Realität ist: Dutzende von Menschen, die in einer Sporthalle schlafen. Kinder, die zwischen mit Holzwänden und Tüchern provisorisch abgetrennten Kabinen herumwuseln. Noch ist das keine Realität, noch reichen die Plätze in den Flüchtlingsheimen. Doch schon in wenigen Wochen könnte sich das ändern.

Die Kreisverwaltung agiert mit ihrem Notfallplan umsichtig: Lieber die Flüchtlinge in einer Halle trocken und warm unterbringen, als im Winter im Freien stehen lassen. Trotzdem ist es beschämend, wenn in einem so wohlhabenden Kreis wie Böblingen, der zu den wirtschaftsstärksten in Deutschland gehört, Menschen, die alles verloren haben, als Refugium nur ein Feldbett bleibt.

Gefordert sind deshalb nicht nur die Mitarbeiter des Landratsamtes, sondern alle Bürger: Diskussionen wie zuletzt in Sindelfingen, wo Bürger um den Wert ihrer Immobilie fürchten, wenn ein Flüchtlingsheim vor ihrer Tür gebaut wird, darf es nicht mehr geben.